nd-aktuell.de / 24.06.2017 / Politik / Seite 6

Atemlos durch die Nacht

Zackzack-Gipfel der EU für gemeinsame Militärstruktur / Erste Brexit-Konkreta von May

Kay Wagner, Brüssel

Vor dem Treffen der immer noch 28 EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel schien Ratspräsident Donald Tusk so optimistisch, dass er sogar in die Musiktruhe griff und eine Zeile aus dem John Lennon Song »Imagine« (Stell dir vor) zitierte: »You may say I’m a dreamer. But I’m not the only one (Du könntest mich einen Träumer nennen. Aber ich bin nicht der einzige)«, sagte Tusk. Und meinte damit die Minimal-Chance, die er sieht, dass Großbritannien sich nach den jüngsten Entwicklungen doch noch für einen Verbleib in der EU entscheidet.

So viel Euphorie kam nicht bei allen gut an. Belgiens Premier Charles Michel konterte wenig später und sagte: »Ich bin kein Träumer, und dabei auch nicht der einzige.«

Was heißen sollte: Zeit zum Träumen hat die EU nicht. Gerade nicht beim Brexit. Die Uhr tickt, also ran an die Arbeit.

Diese Anekdote verdeutlicht, in welcher Gemütslage die EU-Staats- und Regierungschefs diesmal nach Brüssel gekommen waren. Es gab keine aktuellen Krisen zu bewältigen, keine großen Streitigkeiten im Vorfeld. Die EU ist im Aufwind, auch dank des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der das erste Mal bei einem Gipfel dabei war. Euphorie also, und gleichzeitig Wille zum Arbeiten. Letzteres taten die Politiker dann am Donnerstag zunächst so eifrig, dass die ersten Beschlüsse viel schneller unter Dach und Fach waren als geplant. Ergebnis: Die EU strebt eine »ständige strukturierte Zusammenarbeit« beim Militär an. »Pesco« heißt das im EU-Jargon.

Einen »historischen Schritt« nannte Tusk das. Obwohl noch nicht klar ist, wie Pesco genau aussehen soll. In den nächsten drei Monaten sollen Ideen gesammelt werden. Die Teilnahme an Pesco ist freiwillig, und anscheinend haben Deutschland und Frankreich unterschiedliche Auffassungen, wie weitreichend die Maßnahmen sein sollen. Angeblich will Frankreich mehr als Deutschland.

Die Aufforderung an die Anbieter von Internet-Dienstleistungen, neue Mechanismen im Kampf gegen Terroraufrufe zu entwickeln, wurde ebenfalls schnell angenommen. Die Anbieter sollen solche Aufrufe sofort löschen und Behörden die Möglichkeit geben, die Autoren zu identifizieren. Sollten die Internet-Anbieter nicht freiwillig mit der EU zusammenarbeiten, könnten Gesetze kommen, kündigte Tusk an.

Das Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen, die Entscheidung, über die neuen Standorte der beiden EU-Agenturen, die zurzeit in Großbritannien stehen und wegen des Brexits umziehen sollen, im November zu treffen, und die Verlängerung der Russland-Sanktionen um weitere sechs Monate - das alles ging ebenfalls schnell über die Bühne. Bemerkenswert dabei der Vorstoß von Belgiens Michel, als gesamte EU den Dialog mit Russland etwas ernster zu nehmen. »Zurzeit ist es doch so: Wenn es ein Problem mit Russland gibt, ruft die deutsche Bundeskanzlerin Putin an«, sagte Michel. Das sei unbefriedigend. Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sollten sich verstärkt in den Dialog mit Russland einbringen oder sogar einen wahren EU-Russland-Gipfel einberufen. Michel trug den Vorschlag vor. Verabschiedet wurde er nicht.

Zum Ausklang des Tages durfte die britische Premierministerin Theresa May dann erstmals konkrete Vorschläge zum Brexit machen. Alle EU-Bürger, die länger als fünf Jahre in Großbritannien wohnen, sollen auch nach dem Brexit bleiben dürfen. Streitfragen sollten allerdings nicht beim Europäischen Gerichtshof, sondern bei britischen Gerichten geklärt werden. Äußerungen, die nicht zufrieden stellten. »Zu vage«, sagten die einen. »Herr Barnier führt die Verhandlungen«, sagte Merkel. Und hielt sich damit an die zuvor ausgegebene Devise, dass May zwar ihre Ideen zum Brexit vorstellen dürfe, es aber keine Debatte darüber geben solle. Am Montag will May die Vorschläge in schriftlicher Form vorlegen.

Dann kam der Freitag mit den Themen Asyl und Flüchtlinge, Wirtschaft und Handel. Länger als geplant dauerte der Austausch, konkrete Ergebnisse kamen nicht heraus. Nur Bekenntnisse: Ja, Europa müsse sich stärker schützen im weltweiten Handel. Ja, bei den Flüchtlingen müsse Italien mehr geholfen werden. Aber wie genau, blieb offen.