Auf der Suche nach Beteiligung

Das erste Stadtforum in diesem Jahr will Mitbestimmung verbindlich machen

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Ideenmarkt in der Markthalle - der Senat hatte am vergangenen Montagabend zum ersten Stadtforum der Legislatur geladen. Unter dem Motto »Beteiligen! Wie reden wir zukünftig über Stadtentwicklung?« wurde in der »Markthalle IX« in der Eisenbahnstraße in Kreuzberg ein Schwerpunktthema des Senats diskutiert: Bürgerbeteiligung und Partizipation. Da passt eine Markthalle, die von zwei Seiten offen ist: ein zentraler Platz zum Austausch von Waren und Ideen.

Für die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher (LINKE), war das Stadtforum Auftakt und Werbung für eine andere Veranstaltung: Am 3. Juli soll der Arbeitskreis Bürgerbeteiligung wiederbelebt werden, der neben einer Bestandsaufnahme auch Leitlinien für Beteiligung und Mitbestimmung erarbeiten soll. Für Lompscher ist klar: »Berlin ist eine wachsende Stadt. Ohne Partizipation werden die Herausforderungen der Stadtentwicklung nicht gemeistert werden können.« Um den Ideenmarkt für Beteiligung anzuschieben, wurden Initiativen eingeladen, die aus ihren Projekten entstandene Ideen für eine bessere Beteiligung zu präsentieren. Annähernd 50 Initiativen konnten ihre Projekte einem großem Publikum vorstellen.

Viele stadtpolitische Aktivisten störten sich allerdings an der Organisation des Stadtforums. Enrico Schönberg vom Initiativkreis Stadtforum von Unten kritisierte den Umgang mit den vielen Initiativen. Das fing bei den Plakaten an, mit denen sie ihre Ideen vorstellen sollten, um dann für das Forum ausgewählt zu werden. »Die sind alle im selben Design, dabei sind die verschiedenen Initiativen individuell und sehr verschieden.« Auch störte Schönberg die Durchführung des Forums: Die geladen Gäste und das Podium waren getrennt von den Tischen mit den Initiativen und den Aktivisten. »Die Beteiligung selbst ist bei diesem Stadtforum kein Gegenstand. Die Initiativen wurden nicht gefragt, wie das Stadtforum aussehen soll. Das ist Repräsentationspolitik, die in veralteten Strukturen daherkommt.«

Der Initiativkreis lud sich selbst ein und hielt inmitten des Ideenmarktes ein »Stadtforum von Unten« ab. Der Kontrast könnte nicht größer gewesen sein: Dort die Veranstaltung vor Publikum mit Mikrofon und Leinwandübertragung, da der Sitzkreis mit Einführungsstunde Basisdemokratie. Auch für Schönberg ist klar, dass mehr Beteiligung notwendig ist. Nur: »Bei uns ist der Anspruch mittlerweile höher. Initiativen machen seit über dreißig Jahren Stadtpolitik. Sie müssen nicht aktiviert werden. Stattdessen muss die Frage gestellt werden: Wie können sie unterstützt werden?« Senatorin Lompscher überreichten die Aktivisten des Stadtforums einen Projektantrag, in dem gefordert wird, Bewohner und Initiativen nicht erst bei der Umsetzung, sondern bereits bei der Konzeption von Formaten wie diesem zu beteiligen» - und die dafür notwendigen Mittel bereit zu stellen.

In der Finanzierung sieht auch der Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn (LINKE), ein Problem: In der Verwaltung gebe es weder ausreichendes noch entsprechend qualifiziertes Personal, um die Bürgerbeteiligung zu gewährleisten. «Beteiligung kostet Geld. Das führt zu besseren Entscheidungen und zu mehr Akzeptanz», sagte Benn.

Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) sieht auch einen weiteres Problem: Sie fragte das Publikum des Stadtforums, wie viele der Anwesenden einen Migrationshintergrund und wie viele davon einen europäischen haben? Nur wenige Meldungen gab es. Die Veranstaltung sei trotzdem wichtig, nur müssen «auch die erreicht werden, die heute nicht da sind», forderte Chebli.

Dabei war auch das Aktionsbündnis «A 100 stoppen!», das ein selbst gemachtes Plakat neben die der anderen Initiativen aufhing. Tobias Trommer vom Bündnis hat eine klare Erwartungen an das Stadtforum: «Die hier angestoßenen Regeln dürfen nicht zu einer Pseudobeteiligung führen, bei der die Stadtplanung nur ihnen passende Vorschläge annimmt. Das Ergebnis des Beteiligungsverfahren muss verbindlich sein!» Der Aktivist steht dem Stadtforum aber offen gegenüber und hofft, dass die Ideen auch in Gesetze Einzug finden. «Bürgerbeteiligung muss verbindlich sein und die Menschen dazu eingeladen werden - von Anfang an und mit der Möglichkeit, Projekte abzulehnen.»

Auf die Kritik durch das Stadtforum von Unten ging Senatorin Lompscher übrigens ein: Dass es in der Hauptstadt längst schon Bürgerbeteiligung gibt, bestreitet sie nicht. «Berlin fängt nicht bei Null an. Aber wir brauchen Verabredungen, wie die Beteiligung verbessert werden kann.» Die Senatorin freut sich über die Ideen, die durch das Stadtforum von Unten eingebracht wurden. «Nun müssen wir klären, wie wir mit stadtpolitischen Initiativen zusammenarbeiten.»

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