Der Wert des Lebens

Das Ökosystem Great Barrier Reef ist milliardenschwer

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Great Barrier Reef ist UNESCO-Weltnaturerbe, die größte lebende Struktur, eines der sieben größten Naturwunder des Planeten und nach Ansicht vieler der wichtigste touristische Anziehungspunkt in Australien. Jetzt steht fest: Der »Buchwert« des einzigartigen Naturwunders beläuft sich auf stolze 56 Milliarden US-Dollar. Ermittelt worden ist er in einer Studie, die dieser Tage vom Netzwerk Deloitte Access Economics vorgelegt wurde.

Für 1700 Spezies von Fischen, Schildkröten und anderen Meeresbewohnern, nicht wenige davon als gefährdet eingestuft, sind die 3000 einzelnen Riffe, die in einer Gesamtstruktur verbunden sind und wiederum in engen Wechselwirkungen mit 14 Küsten-Ökosystemen stehen, das Zuhause. Allein für die maritime Artenvielfalt hat der Komplex enorme Bedeutung. Doch das Wunderwerk ist bedroht. Seit Jahren macht die fortschreitende Korallenbleiche dem Riffgebiet zu schaffen. Der globale Klimawandel, der gerade auch im pazifischen Raum die Wassertemperaturen schon jetzt messbar immer weiter ansteigen lässt, was allein im Vorjahr neue Rekordwerte brachte, ist der größte Treiber dieser Vorstufe des Absterbens. Einmal von der Bleiche erfasst, können sich die Korallen nur in seltenen Fällen wieder mittelfristig erholen. Doch hinzu kommen noch andere bedrohliche Aspekte. Die Wasserverschmutzung ist dabei der wichtigste. Verschiedene Belastungen in den küstennahen Abschnitten rund um das Riff verringern vor allem den Lichteinfall bis in tiefere Schichten. Und einige der Schifffahrtsrouten der Kohlefrachter führen mitten durch das Great Barrier Reef. Sollte es dort zu einer Havarie kommen, wären die ökologischen Folgen katastrophal.

Zehntausende Arbeitsplätze

Schon länger wird über geeignete Schutzmaßnahmen diskutiert. Ein wertvoller Input für diese Debatten um globale Anstrengungen ist das Ergebnis der Studie. »56 Milliarden Gründe«, ausgehend vom ermittelten Gesamtwert, sehen deren Autoren für geballte Anstrengungen, das Naturwunder zu erhalten. Dieses sei eine Marke für sich, steigere die internationale Bedeutung Australiens enorm, wie 1500 Befragte in ihren Antworten verdeutlichten. Neben 1000 Australiern haben sich 500 Personen aus China, Indien, den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Südafrika und Kanada beteiligt. Ihre Antworten bilden ein wesentliches Fundament für die konkreten Berechnungen der Experten.

Den ganz praktischen ökonomischen »Nutzwert« pro Jahr, basierend auf den Zahlen von 2015/2016, veranschlagen die Autoren bereits mit stolzen 6,4 Milliarden Dollar, die das Riff in diesem Zeitraum unmittelbar zur australischen Wirtschaft beigetragen hat. Zudem sind damit landesweit gut 64 000 Arbeitsplätze verbunden. Der weitaus größte Teil entfällt dabei mit 5,7 Milliarden Dollar auf den Tourismus, bei dieser Betrachtung im engeren Sinne also auf die Übernachtungen. Transportleistungen, Tauchschulen, Einzelhandel und weitere Anbieter in diesem Zusammenhang werden extra betrachtet. Und machen noch einmal 346 Millionen Dollar jährlich aus. Hinzu kommen die Fischerei mit 162 Millionen sowie - in dieser Größenordnung für viele sicher überraschend - die wissenschaftliche Sparte. Fünf Institute bzw. Organisationen, der Auftraggeber der Studie ist einer davon, unterhalten auf den Inseln im Riffgebiet sechs ständige Forschungsstationen. Löhne/Gehälter und sonstige Ausgaben dafür machen noch einmal 182 Millionen Dollar aus.

Was würden Sie zahlen?

Diese noch relativ leicht und direkt erfassbaren 6,4 Milliarden sind aber keineswegs das Ende der Fahnenstange. In einer komplexen Modellberechnung gelang es den Fachleuten, auch darüber hinaus den Wert des Great Barrier Reef in seiner kompletten ökonomischen Bedeutung zu ermitteln. Zugrunde gelegt wird die Frage, was denn passieren würde, sollte das Riff einmal nicht mehr da sein. Angesichts dieses Gedankenspiels zeigt sich, dass viele Australier, selbst wenn sie noch nie auch nur in der Nähe des Great Barrier Reef waren, allein dessen bloße Existenz wertschätzen - und auch bereit wären, dafür zu zahlen. Im Landesdurchschnitt einen Betrag von 1,30 Dollar wöchentlich, was gut 67 Dollar im Jahr ausmacht. Interessanterweise ist die Bereitschaft im ökonomisch eher rückständigen Northern Territority besonders stark ausgeprägt - dort würde man sogar 1,90 Dollar pro Woche erübrigen. Im Gegensatz zu den Hauptstädtern mit nur einem Dollar und den Westaustraliern, die sich mit 80 Cent am zurückhaltendsten zeigen. Unter den erwähnten ausländischen Teilnehmern wiederum ergibt sich (unter Beachtung der unterschiedlichen Kaufkraft) ein Durchschnittswert von 1,98 Dollar wöchentlich.

Die Inwertsetzung für die kommenden 33 Jahre bis 2050 - so lange läuft das gegenwärtige Nachhaltigkeitsprogramm für das Riff durch die australische Regierung - beläuft sich auf insgesamt 24 Milliarden Dollar. 24 Milliarden von jenen, die das Riff sozusagen nur aus zweiter Hand kennen, es vielleicht nie mit eigenen Augen sehen werden. Und die es dennoch für unverzichtbar halten. Hinzu kommen 29 Milliarden Dollar der realen Touristen aus dem Einzugsgebiet des Great Barrier Reef, ebenfalls auf die 33 Jahre hochgerechnet, und drei Milliarden aus den sonstigen »Erholungsausgaben«. Und noch etwas ist den Fachleuten wichtig: Die Bedeutung dieses Naturschatzes für die 70 dort ansässigen Clangruppen von Aborigines und Torres Straits Islanders lässt sich nicht in Zahlen bemessen. Die Ureinwohner dieser Küstengebiete des Bundesstaates Queensland haben eine tiefe, auch religiös verankerte Bindung zum Riff, die mehr als 60 000 Jahre zurückreicht. Ein ganzes Kapitel ist diesem Teilthema gewidmet.

Deloitte ist ein Netzwerk von Firmen und Agenturen in mehr als 150 Ländern der Welt und mit insgesamt über 224 000 Beschäftigten. Fachleute aus unterschiedlichsten Wissensgebieten kommen dabei zusammen. Erstellt wurde die Studie im Auftrag der Great Barrier Reef Foundation. Unterstützung hat die Stiftung dabei von der Australian National Bank und der Verwaltung des Marine Parks im Bereich des Riffs erhalten.

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