»Kontrollierter Verfall« statt Sanierung

Initiative will Nazi-Tribüne auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände der NSDAP zur Ruine werden lassen

  • Rudolf Stumberger, Nürnberg
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Teil der steinernen Stufen ist durch ein weiß-rotes Band abgesperrt. Innerhalb der Absperrung sind mehrere Arbeiter gerade damit beschäftigt, Mörtel auf schadhafte Stellen aufzutragen. An den zugänglichen Stellen der Tribüne klettern ein paar Touristen umher. Unten, auf dem Zeppelinfeld, übt ein Fahrlehrer mit seinem Schüler das Einparken. Daneben sind in einer Umzäunung Klo-Container abgestellt.

Es ist ein warmer Sommertag und der Himmel über der Nazi-Tribüne am ehemaligen Parteitagsgelände der NSDAP in Nürnberg ist blau. Irgendwo hängt ein Schild und darauf ist zu lesen: »Zeppelintribüne. Vorbereitung einer Generalinstandsetzung«. Denn die Stadt Nürnberg will Bauwerk und Gelände in den kommenden Jahren für 73 Millionen Euro sanieren. »Völlig falsch«, meint dazu Reinhard Knodt. Der Philosoph vertritt ein anderes Konzept und sammelt dafür Unterschriften: Für einen »kontrollierten Verfall« der Tribüne und die Umgestaltung des Platzes in eine Grünfläche mit Bäumen.

Zum ehemaligen Parteitagsgelände in Nürnberg gelangt man zum Beispiel mit der Buslinie 65. Sie führt die Frankenstraße entlang und vorbei an der ehemaligen SS-Kaserne, in der heute das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge untergebracht ist. Der Bus fährt auch an der gigantischen NS-Kongresshalle vorbei - sie beherbergt heute das »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände« - dann geht es zu Fuß am Dutzendteich nach rechts in Richtung Tribüne. Dort werden aus einem Kiosk heraus Bratwürste verkauft, daneben halten ein paar Motorradfahrer im Seniorenalter einen Plausch.

Auf diesem Gelände fanden in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1938 die Parteitage der NSDAP statt: Mit Massenaufmärschen von SA und SS, den Ansprachen des »Führers«, einem Lichtdom aus Flakscheinwerfern - alles Elemente einer Inszenierung der Macht. Zentraler Punkt der Haupttribüne war die Rednerkanzel, von der aus Hitler zu den Massen sprach, das Feld bot Platz für 300 000 Menschen.

Gut 500 Meter davon entfernt ist Reinhard Knodt hier in den 1950er Jahren aufgewachsen, in der Waldluststraße. Er kennt die Tribüne noch in ihrer ursprünglichen Form mit den Kolonnaden (1967 gesprengt) und den beiden äußeren Türmen (1979 abgetragen). Und hat den Beginn der profanen Nutzung des Zeppelinfeldes miterlebt: als Rennstrecke des Noris-Rings und als Ort für »Rock am Park« - 1978 trat hier Bob Dylan vor 80 000 Zuhörern auf.

In der Nachkriegszeit durchlebte das ehemalige Parteitagsgelände diverse Nutzungen und Wertschätzungen: Vom Militärflugplatz der Amerikaner über die Unterhaltungsspektakel bis zum Erinnerungsort, als 2001 das »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände« eröffnet wurde. Die Hitler-Tribüne selbst wurde 1973 als Zeugnis des »NS-Kolossalstils« in die Liste der bayerischen Denkmäler aufgenommen. Allerdings weist das Gebäude mittlerweile große bauliche Schäden auf. 2004 beschloss die Stadt Nürnberg die bauliche Sicherung der Anlagen und »deren Erschließung für eine zukunftsgerichtete geschichtskulturelle Auseinandersetzung mit dem historischen Ort«. Ziel ist, »die seit 1973 unter Denkmalschutz stehenden Bauten im heutigen Zustand auch für nachkommende Generationen als Lernort zu erhalten«. Die Gesamtkosten der »baulichen Sicherung« werden auf 73 Millionen Euro veranschlagt.

Das hält Reinhard Knodt für abwegig. Deshalb hat der in Berlin lehrende Philosoph und Schriftsteller einen Aufruf gestartet, stattdessen das Areal in eine Gartenlandschaft umzuwandeln. Unterschrieben haben den Aufruf bisher an die 160 Intellektuelle, darunter die Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, Hans Christoph Buch und Tanja Kinkel. Knodt hat seine Position zur Tribüne bereits im Jahr 2014 in einem Papier von »BauLust e.V.«, einer »Initiative für Architektur & Öffentlichkeit«, dargelegt. Darin wundert er sich über den Plan, »diese Ruine, die diese Tribüne längst ist, nun wieder aufzubauen, um sie zu einer Art didaktischer Vorrichtung zu machen«.

Knodt hält es ohnehin für eine Mystifikation, dass durch eine Renovierung der alten Tribüne sich irgendetwas außerhalb der Tribüne bewältigen lasse, zum Beispiel die NSU-Morde. Das Einzige, das hier »bewältigt« werden könne, seien die bisher dilettantischen Versuche, durch bewusste Zerstörung (Sprengung), Umnutzung (Autorennen) oder der Verstellung von Sichtachsen (durch Bäume) sozusagen mittelbar Stellung zum Nationalsozialismus zu beziehen, indem man »ein wenig ästhetische Verachtung zelebriert«.

Stattdessen plädiert der Philosoph dafür, das Gelände »wie bisher« weiter kontrolliert verfallen zu lassen, die Tribüne soll zu einer »mahnenden Ruine« werden. Denn Knodt glaubt nicht daran, dass das Gebäude an sich zu einer Erkenntnis bei dem Betrachter führt, ohne zusätzliche Information. Das Gelände selbst würde er gerne in eine parkähnliche Landschaft umgestalten. Knodt: »Denn Nürnberg ist eine Stadt weitgehend ohne Gärten.« Damit würde man auch an die Nutzung des Areals vor Inbesitznahme durch die Nationalsozialisten anknüpfen. Knodts Vorbild sind die »Gärten der Welt« in Berlin-Marzahn, dort sind Gartenanlagen aus aller Welt miteinander verbunden. Demnächst will der Philosoph nun die Unterschriftenliste an die Parteien des Stadtrates und des Bundestages übergeben.

Die Stadt hält freilich an ihren Sanierungsplänen fest. »Wenn nur noch romantische Ruinen zu sehen sind, ist die Monstrosität der Bauten verschwunden«, heißt es in einem Antwortschreiben an Knodt. Die menschenverachtende NS-Ideologie könne heute noch anhand der bestehenden Bauten erläutert werden, ein »Areal der Gärten« wäre dazu nicht in der Lage, heißt es in dem Schreiben weiter.

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