Kampf um den Diesel

Automobilindustrie räumt kleine Fehler ein, will aber nicht von der Technologie abrücken

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ungebrochenem Selbstbewusstsein präsentierte sich am Dienstag in Berlin der Verband der Automobilindustrie (VDA) auf seiner Halbjahres-Pressekonferenz. Trotz »erheblich gestiegener politischer Risiken im In- und Ausland« und der »öffentlichen, aufgeheizten Diskussion« über die Zukunft des Dieselantriebs sei die Bilanz der Branche für das erste Halbjahr 2017 überwiegend positiv, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Produktion und Export lagen im Zeitraum zwar leicht unter dem Vorjahresniveau, doch die anhaltende Wachstumsdynamik in Europa sowie niedrige Zinsen und Kraftstoffpreise ließen für das Gesamtjahr eine positive Entwicklung erwarten. Auch habe die Branche mit 812 000 Inlandsbeschäftigten den höchsten Wert seit 26 Jahren erreicht.

Risiken sieht der Verband vor allem in der US-Handelspolitik, schwächelnden Märkten wie Russland und der politischen Instabilität in Ländern wie Brasilien, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche am Standort Deutschland. Deren Stärkung müsse eine der Kernaufgaben der nächsten Bundesregierung sein, forderte Wissmann, allerdings ohne weitere Konkretisierung.

Im global rasant wachsenden Markt für Elektroautos wähnt Wissmann die deutschen Konzerne gut aufgestellt. Die nächste Generation deutscher E-Autos werde mit einer Batterieladung bereits Reichweiten von 500 Kilometern erreichen, und auch bei der Ladeinfrastruktur gehe es voran. Der Anteil von E-Autos bei den Neuzulassungen in Deutschland habe sich im ersten Halbjahr verdoppelt, beträgt allerdings auch jetzt nur magere 1,2 Prozent und somit wesentlich weniger als in vielen anderen Ländern. Auf dem europäischen Markt konnten die deutschen Konzerne ihren E-Marktanteil im ersten Halbjahr 2017 auf 49 Prozent steigern. Aber auch andere Innovationsbereiche wie Brennstoffzellen- und Erdgasantrieb seien »keineswegs abgehakt«, betonte Wissmann. Forschung und Entwicklung liefen auf Hochtouren. Das gelte auch für die Entwicklung emissionsfreier synthetischer Treibstoffe.

Es liegt nahe, dass die Dieselthematik im Mittelpunkt des Interesses stand. Der Dieselantrieb werde auf absehbare Zeit »ein wichtiger Pfeiler des Industriestandorts Deutschland bleiben«, stellte Wissmann seine Sichtweise klar. Mit Blick auf hohe Abgaswerte räumte er ein, dass der Ruf des Dieselmotors »zweifelsohne gelitten« habe. Zu dieser Entwicklung habe die Industrie beigetragen, da »mancherorts schwerwiegende Fehler passiert« seien.

Einen terminierten Ausstieg aus dieser Technologie bezeichnete er dennoch als »vollkommenen Quatsch«, da sei er sich mit dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, einig. In der Debatte sei ein »Zerrbild« entstanden, und jene Aktivisten, Politiker und Medien, »die gegenwärtig eine Gefahr für die deutsche Gesundheit durch Diesel-Emissionen ausrufen, haben offenbar die Verhältnismäßigkeiten aus dem Blick verloren«. Bereits Anfang August solle gemeinsam mit der Politik ein Maßnahmenpaket verkündet werden, um den Stickoxidausstoß von mindestens der Hälfte aller Euro-5-Diesel-Pkw durch entsprechende Nachrüstungen deutlich zu verringern. Unklar ist bislang allerdings, wer dafür die Kosten tragen soll. Auch arbeite man daran, dass es in Zukunft bei Zulassungen keine Labormesswerte mehr geben könne, die von tatsächlichen Emissionen im Straßenverkehr abweichen.

Die Drohung mit Fahrverboten für Euro-5-Diesel in mehreren Großstädten sei für diesen Prozess nicht hilfreich und verunsichere potenzielle Käufer von Diesel-Pkw, wie sich bereits an gesunkenen Zulassungszahlen zeige, so Wissmann. Da müsse »die Politik für Klarheit sorgen«, auch um der Justiz für die Entscheidungen über mögliche Fahrverbote entsprechende »Anhaltspunkte zu geben«.

Die Frage von Entschädigungen für betrogene Kunden, deren Autos mit »Schummelsoftware« ausgestattet sind, stellt sich für Wissmann dagegen gar nicht: In den USA sei die Rechtslage halt anders als in Deutschland. Ohnehin gelte es, den Blick nach vorne zu richten. Wissmann verwies auf die Internationale Automobilausstellung im September in Frankfurt, die ganz im Zeichen neuer Technologien und vor allem der Digitalisierung der Mobilität stehen werde.

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