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Der Tiefdenker

Matussek und kein Ende

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

So manches Komma scheint per Zufallsgenerator gesetzt, dafür fehlen die Kommata nicht selten an anderen Stellen. Manch ein Satz hat nur bedingt etwas mit der deutschen Sprache zu tun. Auch an die Falschschreibung von Namen (»Charles Bukowsky«, »Yello Biafra«) hat man sich gewöhnt. Das ist alles wurscht, denn der Verfasser heißt Matthias Matussek. Von diesem Bescheidwisser und begnadeten Stilisten (»in diesem Café gegenüber des Kino Notausgangs«, »mein fröhlich-patriotisches Buch (...) brannte einen großen Mosaikstein« (...)), von diesem bekennenden Karl-Kraus-Bewunderer, der ein Harmonium »eine Art Akkordeon mit Blasebalg« nennt, ist man nichts anderes gewohnt. Auch bei der Lektüre der Schriften Benjamins und Horkheimers will der Groß- und Tiefdenker Matussek »vertraute Schwingungen entdeckt« haben. Mehr als Schwingungen können es jedenfalls nicht gewesen sein.

Als Jugendlicher, so behauptet er, will er »einen kaum stillbaren Theoriehunger« gehabt haben. Doch auch davon merkt man heute seinen Texten nichts an. Vielmehr ist es der Ton des prahlerischen Erlebnisaufsatzes und der Klatschspalten (»ich wollte die Menschheit retten, auf alle Fälle, aber ich war in erster Linie verliebt, und träumte Heldenträume«), der auch in seinem neuestem Wörterkonvolut dominiert. Und wenn Matussek von seiner »Hippieprinzessin« erzählt, »so schön und warm mitsamt ihren rotbraunen oder kastanienroten Locken auf meiner Brust«, hat man auch in einem einzigen Satz bereits alles erfahren, was man über sein Frauenbild und seine Neigung zum Kitsch wissen muss.

Es ist der Ton dessen, der immer mehr geglaubt hat als gefragt und der immer »Ich« sagt, obwohl da, wo Matussek sein Ich wähnt, nicht viel sein kann. Auch den Begriff der Kritik scheint er nie verstanden zu haben: Kritik, so Matussek, sei es gewesen, »wenn wir (…) Jim Morrisons ›The End‹ auf unseren Anlagen aufdrehten bis zum Anschlag«. Ein Großtuer und Großromantiker spricht da (»der Blumenkohl, den wir da aufteilten, das war eine Art Kommunion, ich sah Christus-Gesichter«), kein Kritiker. Linke sind ihm heute eine Art Sekte, wohl auch deshalb, weil gerade er sich offenbar stets zum Sektenanhänger geeignet hat. Der Publizist Matussek, in seiner Jugend erst gläubiger Ministrant, dann gläubiger Maoist, heute gläubiger Katholiban, Schwulenhasser und glühender Nationalist, war im Grunde schon immer einer, dessen Hauptthema er selbst war. Die beängstigende Mischung aus pathologischer Selbstverliebtheit, Selbstgerechtigkeit und Ballaballa, die einem aus nahezu jedem seiner Sätze entgegenweht, kennt man: »Ich stand in Flammen, lief wieder nach draußen und lief über den Mond«, »er weckte in mir erneut den Glauben meiner Kindheit, den Glauben an eine Auferstehung, auch an meine eigene«, »ich bin herrschaftswidrig aus Reflex«, »meine Lehre: Ich bin meiner Zeit voraus, ich muss nur warten, bis andere nachziehen« usw. usf.

Ausgerechnet »Die Zeit« - die nicht zum ersten Mal unangenehm auffällt mit Bekenntnisaufsätzen fragwürdiger Elendsgestalten, die sich groteskerweise einst für »Linke« hielten, weil sie diffus für das Gute und gegen das Schlechte in der Welt zu sein meinten, und heute reuevoll und händeringend beteuern, dass die kapitalistische die beste und menschenfreundlichste aller Welten sei - hat nun den schon länger rechtsaußen liegengelassenen Matussek wiederentdeckt.

Liebe »Zeit«! Musste es denn unbedingt gerade der sein? Es gibt doch noch so viele andere von der Sorte. Da wird doch wenigstens einer oder eine dabei sein, der oder die einigermaßen klar denken und schreiben kann.

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