nd-aktuell.de / 10.07.2017 / Politik / Seite 14

»Jetzt gibt es noch Opfer anderer Art zu bringen«

Am Münchner Waldfriedhof erinnert jetzt eine Stele an den ermordeten Revolutionär Gustav Landauer

Rudolf Stumberger, München

Im Juni 1933 zerstörten die Nationalsozialisten das Denkmal für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedhof. Jetzt erinnert erneut ein Gedenkstein an den Kulturpolitiker und Schriftsteller, der nach Niederschlagung der Räterepublik am 2. Mai 1919 von den konterrevolutionären Truppen ermordet wurde. Dieser Tage wurde es im Gräberfeld 95/W15 mit einem offiziellen Akt der Stadt München eingeweiht.

Das Denkmal besteht aus einer steinernen Stele, die in der Mitte gespalten ist, aber durch eine blaue Glasscheibe zusammengehalten wird. Darauf ist ein Text von Landauer zu lesen: »Jetzt gibt es noch Opfer anderer Art zu bringen. Nicht heroische, sondern stille unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben.«

Das Material der Stele besteht aus Lava-Basalt, es stehe für den Lebensweg Landauers, den dieser bis zum Schluss gegangen sei, erläuterte bei der Einweihung der Bildhauer Markus Knittel seine Wahl. Der Spalt symbolisiere den plötzlichen Tod des Revolutionärs, die blaue Scheibe die Hoffnung und das Verbindende. Die Pflastersteine am Fuße der Stele signalisierten die Kraft, die aus dem Boden erwachse.

In einer Ansprache skizzierte Michael Stephan, der Leiter des Münchner Stadtarchives, den Lebensweg Gustav Landauers, der 1870 in Karlsruhe geboren wurde. In Berlin politisierte er sich als Student und trat der »Freien Weltbühne« bei, wurde mit 22 Jahren Redakteur des Wochenblattes »Der Sozialist«. Politisch nennt er sich einen »Anarchosozialisten« und steht der Geschichtsphilosophie des Marxismus kritisch gegenüber. Statt der Weltrevolution befürwortet er sozialistische Siedlungsmodelle, mit Martin Buber verbindet ihn das Interesse an Mystik.

Im Gegensatz zu Marx sieht Landauer weder das Proletariat als Träger des gesellschaftlichen Fortschritts noch einen Fortschritt der Geschichte überhaupt: »Es fällt uns nämlich durchaus nicht ein, künstlich eine gesellschaftliche Entwicklung zu konstruieren, wonach - mit Naturnotwendigkeit natürlich - die proletarische Klasse gewissermaßen von der Vorsehung berufen sei, die Stelle der heute herrschenden Klasse einzunehmen, oder gar eine Diktatur des Proletariats zu begründen.« Das Proletariat sieht er »eng und eingeschnürt« und »in der Wirklichkeit gefangen wie schwermütige Tiere«, das sich »unendlich viel Zeit lässt« bei der Erfüllung seines historischen Auftrages.

Über den Zusammenhang von Erlösung und Politik schreibt Landauer: »Mit jeder echten Religion war der Kommunismus verbunden, und echten Kommunismus gibt es nur unter Religiösen. Daher kommt es, dass es wirklichen, vernünftigen, menschenmöglichen Kommunismus heute nur noch in versprengten religiösen Sekten gibt.«

Für den Neuromantiker Landauer stellt das Mittelalter - eine »Gesellschaft von Gesellschaften« - die Bezugsfolie für eine Alternative zur zeitgenössischen industriell-kapitalistischen Gesellschaft dar. Eine Erneuerung könne es nur aus dem Geist der Gemeinde geben, Gesellschaft sieht er als anarchistische Ordnung, ein »freier Zusammenschluß vieler Selbständigen«, von »einem einheitlichen Geist durchdrungen«. Die Revolution ist laut Landauer nicht abhängig vom Stand der Produktivkräfte, sondern jederzeit möglich, falls die Menschen dies wollten. Und sie führt nicht zu einem Endzustand, denn der Utopie folgt die Topie (die verwirklichte Utopie), aus dem wieder die Utopie entspringt und so fort.

Im Frühjahr 1917 war die Familie von Berlin in das süddeutsche Krumbach umgezogen, nach der Novemberevolution 1918 wird Landauer enger Vertrauter von Kurt Eisner, dem ersten Ministerpräsidenten Bayerns. In der Räterepublik 1919 hat er für wenige Tage das Amt des Volksbeauftragten für Volksaufklärung inne. Nach der Niederschlagung der Räte durch die Weißen Truppen wird Landauer verhaftet und am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim brutal ermordet.

Danach beginnt ein Kampf um das Erinnern. Ende Mai 1925 wird auf dem Münchner Waldfriedhof ein fünf Meter hoher Obelisk als Grabmal für den Schriftsteller enthüllt. 1933 schleifen die Nationalsozialisten die Stätte und die Asche Landauers wird auf den Neuen Israeltischen Friedhof im Norden Münchens verbracht. Dort ruht sie zusammen mit den sterblichen Überresten von Kurt Eisner in einem Grab.

Dass der Münchner Stadtrat die Aufstellung des Landauer-Denkmals im Waldfriedhof beschlossen hat, geht auch auf die Initiative einer Gruppe um den Frankfurter Historiker und Landauer-Herausgeber Siegbert Wolf und den Liedermacher Peter Kühn zurück. Und auch in Berlin bemüht sich eine »Gustav Landauer Denkmalinitiative«, bis Mai 2019, dem Todestag des Schriftstellers, einen Erinnerungsort zu schaffen.