nd-aktuell.de / 11.07.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Unsicheres Export-Standbein

Deutschland hat vor allem bei den Löhnen im Dienstleistungsbereich Nachholbedarf

Kurt Stenger

»Wir werden uns auf eine Weise, die das globale Wachstum unterstützt, um die Verringerung übermäßiger globaler Ungleichgewichte bemühen«, heißt es in der Abschlusserklärung des Hamburger G20-Gipfels. Ein spröder Satz, der es freilich in sich haben könnte, wenn ihn die Bundesregierung ernst nehmen würde: »In einer Kombination von höheren Lohnsteigerungen und einer deutlich expansiveren Finanzpolitik liegt der Schlüssel für einen Abbau der Leistungsbilanzüberschüsse«, heißt es in einer neuen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung.

In der Untersuchung geht es um die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland, wozu neben den Bruttolöhnen auch der Arbeitgeberanteil an den Sozialbeiträgen sowie Aufwendungen für Weiterbildung und Steuern zählen. Im vergangenen Jahr gab es in der Privatwirtschaft ein nominales Plus von immerhin 2,5 Prozent - auf 33,60 Euro je Arbeitsstunde. Damit liegt Deutschland auf Platz sieben der neun EU-Hochlohnländer. Der Anstieg war fast doppelt so hoch wie im Euroraum insgesamt (1,3 Prozent). »Ein Schritt zur Normalisierung«, findet der wissenschaftliche Direktor des IMK, Gustav A. Horn: »Die deutsche Wirtschaft ist wettbewerbsfähig - das muss sich in der Lohnentwicklung niederschlagen«, sagte er bei der Vorstellung der Studie am Montag in Berlin. Das Problem der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die zu Schuldenkrisen und Währungsturbulenzen führen können, sei aber immer noch nicht überwunden.

Tatsächlich sind die Arbeitskosten in Deutschland laut dem IMK seit der Jahrtausendwende um durchschnittlich 2,0 Prozent pro Jahr gestiegen, im Euroraum dagegen um 2,4 Prozent und in der gesamten EU sogar um 2,7 Prozent. Vor allem bis zur Eurokrise lag man bei den Wachstumsraten deutlich hinter den Partnern und hat seither kaum aufgeholt. In Folge der geringeren Lohnsteigerungen wurde Deutschland noch wettbewerbsfähiger, obwohl man schon hohe Überschüsse im Außenhandel hatte.

Allerdings ist die Lage in Deutschland durchaus differenziert zu sehen. Laut Horn gibt es in der Industrie relativ hohe Löhne, während Beschäftigte im Dienstleistungssektor häufig sehr schlecht bezahlt werden. Die Lohnkluft von rund 8,40 Euro sei höher als anderswo im Euroraum. Dies sei ein Grund für die hohe Ungleichheit hierzulande, erläutert der Ökonom, und mache Industrieunternehmen noch wettbewerbsfähiger: Sie könnten Dienstleistungen relativ günstig einkaufen - rund elf Prozent beträgt die Kostenentlastung hiesiger Unternehmen gegenüber der EU-Konkurrenz.

Vor allem im Dienstleistungsbereich müssten die Löhne deutlich stärker steigen, fordern die IMK-Wissenschaftler. »Es ist zwar Aufgabe der Gewerkschaften, ihre Verhandlungsmacht zu stärken«, sagt Horn, »aber die Politik muss Rückenwind geben.« Ihn stören vor allem die zu hohen Hürden dafür, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären - also dass sie auch für die besonders vielen nicht tarifgebundenen Unternehmen im dritten Sektor gelten.

In Folge der Lohnschwäche ist der reale Konsum seit Beginn der Währungsunion um lediglich 13 Prozent gewachsen, während sich die Exportwerte verdoppelten. Kein anderes Land weise eine ähnlich hohe Diskrepanz zwischen Binnenmarkt und Außenhandel auf, erklärt IMK-Ökonom Rudolf Zwiener. Sein Kollege Horn findet es erfreulich, dass der Binnenkonsum dank der Lohnsteigerungen wichtiger geworden ist und Deutschland sich etwas von der Weltkonjunktur und den Exportschwankungen entkoppelt. Dies sei nämlich ein zunehmend unsicheres Standbein angesichts von Brexit, Trump und Protektionismus.

Es gehe nicht darum, dass Deutschland weniger importiere, erläutert IMK-Direktor Horn, sondern darum, dass Deutschland mehr aus den anderen Euroländern importiere. Das würde nämlich die wirtschaftliche Erholung dort fördern. Dazu notwendig seien aber eben eine höhere private Nachfrage durch höhere Einkommen und mehr staatliche Investitionen im Infrastrukturbereich.