Unvermietbar ist fast nichts mehr

Kaum Wohnungsleerstand / Neubau kommt sehr langsam in Fahrt

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Jede Wohnung, die angeboten wird, wird sofort vermietet«, sagt Maren Kern am Dienstagvormittag. Sie ist Chefin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), in dem hauptsächlich kommunale und genossenschaftliche Unternehmen organisiert sind. Konkret bedeutet das: Nur noch 700 von 700 000 Wohnungen im Berliner Bestand der Verbandsmitglieder standen 2016 wegen schlechter Lage oder Ausstattung langfristig leer. Vor zehn Jahren schien es noch für 17 600 Einheiten aussichtslos, Mieter zu finden, 2001 war das sogar noch bei 24 600 Wohnungen der Fall. Die Quote an kurzfristigem Leerstand wegen Mieterwechsel oder Sanierung sank 2016 berlinweit auf ebenfalls historisch niedrige 1,6 Prozent.

Auch ein Umzug ist angesichts zu weniger Wohnungen und explodierender Mieten für viele Menschen keine Option mehr. Nur noch 5,5 Prozent der Mietverträge wurden von Seiten der Bewohner 2016 gekündigt - 2005 waren es noch 9,5 Prozent. Damit bleibt der Durchschnittsmieter rechnerisch 18 Jahre in seiner Wohnung. Noch deutlicher ist das in Kreuzberg und Schöneberg zu sehen. Mit einer Kündigungsquote von 4,1 Prozent wechseln die Menschen dort erst nach über 24 Jahren die eigenen vier Wände.

Da ist es wenig tröstlich, dass der Neubau von Mietwohnungen nur sehr langsam in Fahrt kommt. Knapp 4700 Wohnungen sollen laut Plan von den BBU-Mitgliedern 2017 fertiggestellt werden, immerhin mehr als doppelt so viel wie die knapp 2300 Fertigstellungen 2016. 2018 sollen knapp 6700 Wohnungen fertig werden, 2019 und 2020 sollen es zusammen fast 18 000 sein. »Realistisch dauert es eben drei bis vier Jahre von der Idee zum fertigen Haus«, sagt Kern. Von 2015 bis 2017 haben sich die Neubauinvestitionen von BBU-Unternehmen von 408 Millionen Euro auf 1,25 Milliarden Euro verdreifacht.

Gleichzeitig gibt es in Brandenburg, selbst in vergleichsweise berlinnahen Gemeinden, noch hohe Leerstandsquoten. Vor allem Brandenburg an der Havel sticht mit 12,9 Prozent unvermieteten Wohnungen heraus. »Bei einer besseren Verkehrsanbindung könnte das Berlin entlasten«, sagt Kern.

Rund 20 000 neue Wohnungen pro Jahr, so schätzt Kern den Bedarf in der Hauptstadt ein. Tatsächlich wurden 2016 nur fast 13 700 bezugsfertig, davon nur 58 Prozent Mietwohnungen, die andere knappe Hälfte Eigentum. Nur 100 Sozialwohnungen für 6,50 Euro Quadratmetermiete waren darunter, während gleichzeitig rund 7000 preisgebundene Bestandswohnungen wegfielen. Über 100 000 preiswerte Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen fehlen in der Hauptstadt. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht.

Vor allem die rasant steigenden Baulandpreise konterkarieren Bemühungen, günstig neu zu bauen. »In den letzten Jahren haben wir eine Verdoppelung bis Verdreifachung erlebt«, sagt Stefanie Frensch, Chefin der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE. Noch vor Kurzem schlug der Landerwerb sich im Baupreis pro Quadratmeter Gebäudenutzfläche mit rund 300 Euro nieder, nun sind es 600 Euro.

Für Geringverdiener wird der Neubau unter jetzigen Bedingungen auf absehbare Zeit keine Lösung bringen. Immerhin liegen die Bestandsmieten bei BBU-Unternehmen mit 5,74 Euro pro Quadratmeter kalt 65 Cent unter dem allgemeinen Marktniveau. Damit hat sich der Preisunterschied seit 2015 fast verdreifacht.

Der BBU fordert vom Senat die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten »aktiven Liegenschaftspolitik«. Die ist bisher in Ansätzen auf den Weg gebracht, zum Beispiel mit der Vorkaufsrechtsverordnung für drei künftige Entwicklungsgebiete. Sie ermöglicht es dem Land, bei Gebieten, die laut Flächennutzungsplan noch kein Bauland sind, der Bodenspekulation einen Riegel vorzuschieben.

»Kiez statt Kerosin« lautet für Kern das Motto für den Flughafen Tegel sein. Mehr als 10 000 Wohnungen ließen sich ihrer Ansicht nach dort errichten. Die jetzige Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE) will Kern aber nicht für die Situation verantwortlich machen. Dafür sei sie zu kurz im Amt.

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