Die Abgeordneten probieren den Urlaub

Die britischen Parlamentsferien versprechen für Premierministerin May kaum eine Atempause

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die Premierministerin verspricht die Sommerpause kein Ende des Albtraums, sondern nur kurzfristige Linderung. Noch im Februar hat ihre Partei bei einer Nachwahl triumphiert und den seit 1935 labourtreuen nordwestenglischen Wahlkreis Copeland gewonnen.

Durch einen Wanderurlaub zu Ostern in Wales zusätzlich gestärkt, rief sie ohne Not Neuwahlen aus, von denen sie sich einen Erdrutschsieg versprach. Nach miserablem Wahlkampf sah May jedoch ihre kleine, aber feine absolute Unterhausmehrheit zusammenschmelzen - verzockt, Ziel verfehlt.

Nach eigenen Angaben weinte sie bei der ersten TV-Hochrechnung, dachte vielleicht gar ans Aufgeben. Das ließen jedoch ihre um den erwarteten Sieg geprellten Tories nicht zu: Ohne Mehrheit für den erwünschten harten Brexit, die Austeritätspolitik, Sozialkürzungen und Lohnstopp für den öffentlichen Dienst, fahren sie jedoch ein Auto ohne Rückwärtsgang.

Theresa hat uns die Wahlverluste eingebrockt, jetzt soll sie die Suppe auslöffeln, so die Meinung in der Fraktion. Außerdem würde ein Wettbewerb um den Vorsitz die Partei spalten, es gibt keinen unangefochtenen Kronprinzen. Boris Johnson ist durch Lügen bei der Brexit-Abstimmung kompromittiert, Finanzminister Philip Hammond als trockener Zahlenmensch verschrien, David Davis zu alt, Amber Rudd vertritt den Wahlkreis Hastings mit nur sehr knappem Vorsprung vor Labour.

Vor allem: Ein May-Rücktritt würde Corbyns Ruf nach Neuwahlen noch lauter erschallen lassen. Dass sie vor zwei Wochen die anderen Parteien um Vorschläge bat, war ein Armutszeugnis: Der Oppositionschef bot ihr daraufhin Labours Wahlmanifest an.

Der 68-Jährige hat die Parlamentswahl verloren - daran müssen Corbyns Bewunderer erinnert werden. Ein Labour-Chef, der gewinnen will, muss auch desillusionierten Konservativen Gründe zum Wechsel bieten, nicht nur Liberalen oder Grünen.

Andererseits: Corbyn hat es vermocht, Jungwähler (bis 45 Jahre alt) zu mobilisieren wie niemand zuvor. Er bekam mehr Labourstimmen als Tony Blair 2001 und 2005, er übertraf vor allem sämtliche Erwartungen und überdies belehrte er seine Fraktionskritiker eines Besseren. Jetzt muss er sich entscheiden, ob er seine früheren Widersacher bestrafen - etwa durch Hintertreiben ihrer Kandidaturen bei vorzeitigen Neuwahlen - oder sich lieber als Premier im Wartestand mit hinter sich geschlossenen Reihen profilieren will. Dass er frühere Kritiker wie Chuka Umunna oder Yvette Cooper in sein Schattenkabinett nicht aufnehmen will, ist kein gutes Zeichen.

Wie heißt der Liberalenchef? Noch Tim Farron, aber nicht mehr lange, er hat wegen angeblichen Widerspruchs zwischen seinen christlichen Grundsätzen und der Führung einer modernen Partei die Segel gestrichen. Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe sind sonst eher bei Mays Mehrheitsbeschaffern, den nordirischen Demokratischen Unionisten, zu finden. Einziger Nachfolgekandidat bleibt der Routinier und Ex-Wirtschaftsminister Vince Cable, der seinen Wahlkreis Twickenham zurückerobert hat. Eine langfristige Lösung bietet er nach der Krönung auf dem Herbst-Parteitag indes nicht.

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