Hasch mich, Mädchen!

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

1980 fand im Pionierpark »Ernst Thälmann« eine unserer FDJ-Jugendstunden statt. War es Pflicht, sich für das Konzert der Stern-Combo Meißen zu interessieren? Zumindest sollte es für viele von uns der erste Konzertbesuch sein. Im Saal warteten wir lässig ab. Etwas Nebel waberte über die Bühne, der Rock erfüllte als angemessener Krach den Raum. »Sag mir, was soll aus mir werden, wenn ich schon geboren bin?« Stark. Wir saßen halbwegs erschlagen in den Sesseln. Doch zwei Tänzer einer anderen Schule provozierten bei uns etwas Spott. Die Sachsen-Combo war vielen zu progressiv, irgendwie zu Pink Floyd. Nach und nach verließen meine Mitschüler das Konzert.

Ich verblieb im Köpenicker Kessel, ziemlich alleine mit meiner süßen Banknachbarblondine und dem langhaarigsten unserer Lehrer. Von einem Kameraden, der gerade den Saal verließ, wurde ich gesehen, wie ich mit dem Kopf wackelte. In der Woche darauf warf er mir vor, ich sei ausgeflippt. Wenige Jahre später läutete dieses Bullenkind mit einer Vernunftehe sein vorzeitiges Ableben ein. Torschlussangst mit 18. Sein Traum wurde wahr: Kinder kriegen, heiraten, scheiden lassen. Der erste Bartwuchs verdeutlichte ihm die nahende Vergreisung. Nun ja, ich war schon immer für die Scheidung für alle.

Wie ich inzwischen gehört hatte, wurde jeden Mittwoch im Kulturpark Plänterwald gerockt. Es gab Konzerte auf einer Freilichtbühne nahe der Achterbahn. Ab nach Treptow! In den Kulturpark kam man für etwa 1 Mark 25 immer rein, das war untypisch. Die Kapelle, die sich angekündigt hatte, kannte ich. Rockhaus sangen Sachen wie: »Bonbons und Schokolade, ich möcht so gern ne Freundin haben, mir wird so schlecht davon.« Diese poppigen Jungs spielten nicht den von den Diskodummen milde belächelten Weltall-Erde-Mensch-Rock. Viele bunte Mädchen strömten zum Konzert, die meisten saßen auf den Schultern ihrer Kerle. Es regnete in Strömen, klatschnasse Mädchenpopos wippten einem ständig vor der Omme herum. Der Stellenwert von Rockhaus, verglichen mit den Ärzten, war ungefähr so hoch wie der des Lipsy, verglichen mit dem Rock ’n’ Roll. Also ganz gut. Rockhaus fanden ihre Anhänger, obwohl sie sich im Magazin »neues leben« gegen die dreckige Kleidung der Punks geäußert hatten. Um den NVA-Knast kamen sie trotzdem nicht herum. Diese Gefahr war allgegenwärtig. Halbwegs brauchbare Texte wurden oft mit Einzugsbefehlen honoriert.

Viele freche Musikanten spielten häufiger im Plänterwald, wogegen einige ihrer harmlosen Kollegen für immer im Westen auftraten. Viele kreative Wirtschaftsflüchtlinge gehörten plötzlich zur Biermann-Familie. Wir gingen regelmäßig in den Kulturpark, oft ohne zu wissen, wer auftreten würde. Die Musikrichtung kündigte sich auf dem Weg an. Lange Haare, Levis und Tramper versprachen einen Auftritt von Engerling oder Monokel. Als mit Keks & Co. die Punkbombe knallte, war Schluss mit lustig. Nun hieß es: »Hasch mich, Mädchen!«

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