Juwelen am Wegesrand

Schlossgeister, Torten, Seufzerbrücken und Kurven im schwedischen Sörmland

Erinnert euch an die kleinen Schatztruhen von früher. Wenn man die öffnete, funkelte es. Lauter kleine Kostbarkeiten sah man«, schwärmt unsere Begleiterin Elisabeth. »Genau diese Kostbarkeiten sehen wir uns jetzt in Sörmland an.« Sörmland ist eine Provinz im Osten Schwedens, südöstlich von Stockholm gelegen.

Die erste Kostbarkeit muss leider passen. Der große Kessel des Dampfschiffes »Mariefred«, das uns von Stockholm nach Mariefred bringen soll, benötigt dringend eine Reparatur. Aber Glück im Unglück: Auf der Busfahrt halten wir im malerischen Trosa. »Willkommen in Trosa, am Ende der Welt«, steht auf dem Ortseingangsschild. Von wegen Ende der Welt. Viele junge Familien wohnen in der beschaulichen Kleinstadt, die sich ihre alte Architektur bewahrt hat. Die bunten Holzhäuser erinnern ein bisschen an Bullerbü. Selbst die »Seufzerbrücke« ist noch da. Wenn man nach einem langen Sommer in die Städte zurückzog, mussten sich viele Sommerlieben trennen. Der Weg über die kleine Brücke zurück in die Stadt war dann wie ein Gang zum Henker.

Die Kungens kurva - Königskurve - hätte das Schiff auch nicht passieren können. Elisabeth lächelt geheimnisvoll, als sie andeutet, was am 28. September 1946 hier geschah. Der Chauffeur eines Cadillacs, in dem König Gustav V. von Schweden saß, kam vom Weg ab und landete im Graben. Böse Zungen behaupteten, der König, der mit drei Freunden auf dem Heimweg von der Jagd auf Schloss Tullgarn war, habe den Fahrer gehetzt.

Der Bus erreicht ein weiteres Juwel: Mariefred, ein 5600-Seelen-Städtchen. Runde rote Türme spiegeln sich dick und behäbig im Blau des Sees. Sie gehören zu Schloss Gripsholm. »Mariefred ist eine klitzekleine Stadt am Mälarsee. Es war eine stille und friedliche Natur. Baum und Wiese, Feld und Wald - niemand aber hätte von diesem Ort Notiz genommen, wenn hier nicht eines der ältesten Schlösser Schwedens wäre: das Schloss Gripsholm.« So beschrieb Kurt Tucholsky den Ort. Der ist beliebtes Ausflugsziel der Stockholmer, seit 1903 das erste Dampfschiff, aus der Hauptstadt kommend, die Landungsbrücke ansteuerte. Kurt Tucholsky ist auf dem Friedhof von Mariefred unter einer alten Eiche begraben.

60 000 Menschen besuchen jedes Jahr Mariefred und Schloss Gripsholm. Der Rundgang durch das Schloss führt vom 16. Jahrhundert bis in die heutige Zeit von Dynastie zu Dynastie. Auch Porträts vieler berühmter Schweden wie Olof Palme oder Astrid Lindgren sind zu sehen. Im Sommer gibt es zahlreiche Konzerte. Auch im Theater, das Gustav III. 1790 bauen ließ, finden zuweilen Veranstaltungen statt. »Wir sind nicht allein«, schmunzelt Schlossführerin Josefine. »Die Vasas folgen uns durch die ganze Führung als Schlossgeister.«

Einen wunderbaren Blick auf das Schloss hat man vom Garten des ältesten Gasthauses Schwedens - »Gripsholms Värdshus«. Der »Gripsholmengrill« gleich daneben soll die beste Wurst verkaufen, sagt man.

Wir verlassen Mariefred. Nach wenigen Minuten wartet ein ganz besonderes Juwel. Vor Schloss Taxinge am Mälarsee steht Åsa Fimmerstad. Nach einem Rundgang geht es in ein Café, von dem behauptet wird, dass es zu den 25 Cafés weltweit gehört, die man sehen sollte, bevor man stirbt. Hier soll es Europas größtes Kuchenbüfett geben. Niemals, so Åsa, stehen weniger als 65 verschiedene Backwaren zur Auswahl. Gäste kommen von weit her, Besucher aus den USA sind keine Seltenheit.

Im Schloss drehte Ingmar Bergman seinen letzten Film »Fanny und Alexander«. »Dafür hat er die Fassade rot streichen lassen«, erzählt Åsa. »Bergman durfte alles.« Åsas Familie pachtete 1979 das Schloss. »Das Dach war undicht, es regnete rein, aber für uns Kinder war es ein Abenteuer.« Doch das finanzierte sich nicht von selbst. »Uns hat der Kuchen gerettet«, erzählt Åsa, die mit ihrer Familie im Schloss wohnt. »Wir haben gebacken, verkauft, gebacken, verkauft. Ohne Pause.« Heute sind mehrere Konditoren angestellt. Anders wäre der Gästeansturm nicht zu bewältigen. Åsas Lieblingskuchen ist eine frisch gebackene Zimtschnecke. Spuken soll es hier auch zuweilen. »Aber es sind sehr liebe Gespenster«, ist sich Åsa sicher. »Wir sind nie allein.«

Die letzte Nacht verbringen wir in der Wildnis. Claas und Johann wollen uns zunächst auf einer Safari wilde Tiere zeigen. Fehlanzeige. Außer einigen Rehen und Wildschweinen ließ sich keines blicken. Doch der Sonnenuntergang am See und die sehr gemütlichen Hütten wenige Kilometer von der Zivilisation im Dorf Virå bruk entfernt entschädigen dafür.

Zurück in der Zivilisation: »So, das ist das Auto aus der Königskurve«, zeigt Elisabeth auf einen Wagen im Museum von Schloss Sparreholm. »Die Insassen überstanden das Malheur unbeschadet. Der König stieg aus, zündete sich eine Zigarette an und wurde bald vom Hof abgeholt.« Eigentlich eine Bagatelle, wenn nicht ein Reporter der Tageszeitung »Dagens Nyheter« schnell vor Ort gewesen wäre und »sensationelle« Bilder schoss.

Die Sammlungen auf dem Schlossgelände sind letzte Edelsteine aus der Schatzkiste. Neben Oldtimern gibt es Kutschen, Fahrräder und Europas größte Jukebox-Sammlung zu sehen.

Infos

Allgemeine Informationen zu Schweden: www.visitsweden.de

Safari und Übernachtung in Virå bruk: virabruk.se

Sparreholm Slot (Schloss): www.sparreholmsslott.com/en

Gripsholms Värdshus (Gasthaus) in Mariefred: www.gripsholms-vardshus.se

Taxinge Slot mit dem berühmten Kuchenbüfett: 155 93 Nykvarn, www.taxingeslott.se

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