Mehr Nazis, mehr rechte Gewalt

Brandenburgs Verfassungsschutz vermerkt höchste Zahl von Rechtsextremisten seit 1993

3. April, Fürstenwalde: Ein 40-Jähriger beschimpft seine Nachbarin als »Negerin« und schlägt ihr zweimal mit der Faust ins Gesicht, sodass sie operiert werden muss. 31. Mai, Neuruppin: Ein Mann stößt unvermittelt einen Achtjährigen aus Bosnien-Herzegowina so sehr, dass der Junge hinfällt und mit dem Kopf auf den Gehweg prallt. 28. Juli, Ketzin: Die 64-jährige Besitzerin eines Mehrfamilienhauses erhält anonyme Morddrohungen, weil sie Wohnraum an Ausländer vermietet hat. 21. August, Oranienburg: Ein Mann wird mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht und verweigert dort die Behandlung durch einen dunkelhäutigen Arzt. Er schimpft: »Du Scheißneger, Scheißausländer, fass mich nicht an, du Fotze.« Und er droht: »Ich bringe dich um.« 17. September, Cottbus: Ein 14-jähriger Libanese wird von einem Unbekannten ins Gesicht getreten. Dazu wird in Orten wie Spremberg, Bernau und Wittstock »Sieg Heil«, »Ausländer raus« und »Deutschland den Deutschen« gerufen oder »Asylanten wie Juden vergasen«.

Neun Seiten lang sind im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht 2016 derartige Straftaten aufgelistet - und es handelt sich dabei nur um Beispiele aus einer viel längeren Liste. Allein schon die rechte Gewaltkriminalität wird mit 167 Delikten beziffert - und das sind 38 Straftaten mehr als im Jahr 2015.

Fakten
  • Als der Staat 2015 und 2016 zunächst einige Schwierigkeiten hatte, die ankommenden Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, hat die NPD versucht, aus dieser Asylkrise politisches Kapital zu schlagen. Das ist ihr aber nicht gelungen. Die Mitgliederzahl stieg in Brandenburg nur um zehn auf 300. »Rechtspopulisten haben der Partei schon lange den Rang abgelaufen«, formuliert der Verfassungsschutz.
  • Ein großer Teil der Rechtsextremen ist in diversen Kameradschaften, Brigaden, Bruderschaften und Aktionen zu finden, auch in der Identitären Bewegung, die zwar um ein anderes Erscheinungsbild bemüht ist, aber vom brandenburgischen Geheimdienst erstmals klar den rechtsextremen Organisationen zugeordnet wird.
  • Die Splitterpartei »Die Rechte« verharrt in Brandenburg bei 25 Mitgliedern.
  • Eine weitere rechte Splitterpartei, »Der III. Weg«, gewann fünf Mitglieder und hat im Bundesland nun 30 Anhänger.
  • Die »Rote Hilfe« habe in Brandenburg mit 215 Vereinsmitgliedern so viele wie noch nie, heißt es.
  • Der Landesverband der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) wird vom Geheimdienst auf 55 Männer und Frauen geschätzt. Das sollen fünf weniger als 2015 sein. »Ihre Reststrukturen werden weiter zerfallen«, glaubt der Verfassungsschutz. af

Am Freitag stellten Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und Verfassungsschutzchef Carlo Weber den jüngsten Jahresbericht in Potsdam vor. Dabei hatten sie fast keine guten Nachrichten parat. Einzige Ausnahme: Es konnten im vergangenen Jahr fünf Konzerte der rechten Szene verhindert werden - drei mehr als im Vorjahr - und nur zwei Konzerte fanden statt.

Aber sonst: Der Verfassungsschutz rechnet 1390 Personen im Bundesland der rechten Szene zu. Das sind 160 mehr als im Jahr 2015. Doch was noch alarmierender ist: Es handelt sich um den höchsten Stand seit dem Jahr 1993. Von den 1390 Neonazis werden 530 als gewaltbereit eingestuft. Vor zwei Jahren sind noch deutlich unter 500 Rechte gewaltbereit gewesen.

»Im Zuge der Flüchtlingskrise war ab dem Jahr 2015 eine deutliche Radikalisierung der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg festzustellen«, bemerkte Innenminister Schröter. Ihm zufolge reagieren Linksradikale darauf zunehmend mit Gewalt. »Hier ist eine gefährliche Eskalationsspirale in Bewegung geraten.« Die rechte Szene sei insbesondere im Süden Brandenburgs »hochgradig gewaltbereit«. Sie bündele dort Neonazis, Rocker, Wachschützer, Kampfsportler, Hassmusiker und Hooligans.

Nur leicht gestiegen ist nach Zählung des Geheimdienstes das linksradikale Potenzial - um zehn auf jetzt 500 Personen, worunter 210 gewaltbereite Autonome fallen sollen. Sie haben im Land Brandenburg so viele linksradikale Gewalttaten verübt, wie seit 1990 in diesem Spektrum noch nie gezählt worden sind. Es waren 53 Gewalttaten und damit fünf mehr als im Jahr 2015.

»Der Bericht belegt, dass insbesondere die rechtsextremistische Szene deutlichen Zulauf hat«, urteilte der Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE). »Der Bericht zeigt auch, dass die Gefahr von Gewaltkriminalität weiterhin klar von rechts ausgeht. Zwar stieg auch die Zahl linksextremistischer Straftaten, aber auf deutlich niedrigerem Niveau.« Scharfenberg betonte: »Gewaltstraftaten sind aus Sicht der LINKEN kein Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen.« Besonders besorgniserregend findet der Landtagsabgeordnete den Zuwachs bei den Reichsbürgern von 300 auf 440 Personen, da sich die Reichsbürger seiner Einschätzung nach radikalisieren und an völkischem Gedankengut orientieren, illegal Waffen besitzen und immer aggressiver gegenüber kommunalen Behörden auftreten, die sie genauso wie die Bundesrepublik insgesamt nicht anerkennen, da sie an das Fortbestehen des Deutschen Reiches glauben. »Mehr Aufklärung über diese politische Gruppierung wird ebenso gebraucht wie ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement«, meint Scharfenberg. Die LINKE unterstütze alle, »die sich Hass, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt entgegenstellen, auch wenn dies zunehmend politischen Mut erfordert«.

Indessen stieg die Zahl der dem Geheimdienst bekannten Islamisten in Brandenburg von 30 vor vier Jahren auf 100 im vergangenen Jahr. Das wird aber auch darauf zurückgeführt, dass es immer mehr Hinweise auf Islamisten gibt. »Islamistische Extremisten binden enorme personelle, materielle und finanzielle Ressourcen unserer Sicherheitsbehörden«, beklagte Minister Schröter. »Mit einem weiteren Anstieg dieses Personenpotenzials muss gerechnet werden.« Denn es gebe immer neue Hinweise und Erkenntnisse. Es sei »immer noch nicht absehbar, wie viele Extremisten und Terroristen den Flüchtlingsstrom ab September 2015 genutzt haben, um nach Deutschland zu gelangen«. Dass sie diesen Strom genutzt haben, sei aber klar.

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