Europäische Ablenkungsmanöver

EU-Politiker und Rechtsradikale gehen weiter gegen zivile Seenotretter vor - Italien lässt man währenddessen mit den Flüchtlingskosten alleine

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

In der sizilianischen Küstenstadt Catania hat sich im Laufe der vergangenen Woche eine internationale Schiffscrew eingefunden. Ihr Ziel ist nicht wie bei den meisten anderen der Handel. Die »C-Star« der rechtsradikalen »Identitären Bewegung« will unter dem Motto »Verteidigt Europa« die im Mittelmeer tätigen zivilen Rettungsorganisationen behindern. Beweise für eine angebliche Zusammenarbeit mit Schleppern sollen gesammelt, selbst aufgelesene Flüchtlinge an die umstrittene libysche Küstenwache übergeben werden. Für Zwischenfälle habe man nach eigener Aussage »Sicherheitsmitarbeiter« an Bord.

Die vor Ort versammelten Kader der völkischen Gruppe geben bereits zahlreiche Interviews, doch ob die »C-Star« überhaupt in Italien ankommt, ist ungewiss. Die britische Nichtregierungsorganisation »Hope not hate« bestätigte gegenüber »nd«, dass das Schiff am Donnerstag am Suezkanal aufgrund »fehlender Papiere« von ägyptischen Sicherheitskräften festgesetzt wurde. Doch selbst nach einer möglichen Ankunft ist fraglich, ob die italienische Küstenwache die »C-Star« auslaufen lassen wird. Verschiedene antirassistische Organisationen aus Italien haben die lokalen Behörden in einer gemeinsamen Erklärung aufgefordert, den »Identitären« keine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco, sprach sich bereits gegen eine Versorgung der Rechten aus. Für die Ankunft des Schiffes kündigten Aktivisten Proteste an.

Politische Rückendeckung erhält die »Identitäre Bewegung« derweil - bewusst oder unbewusst - vom deutschen Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte in einem Interview die bisher nicht bewiesenen Vorwürfe seitens einiger italienischer Politiker und Staatsanwälte wiederholt. Rettungsorganisationen könnten demnach gezielt ihre Transponder ausschalten, um ihre Position zu verschleiern, unberechtigt in libysche Hoheitsgewässer eindringen sowie mittels ihrer Suchscheinwerfer Flüchtlinge anlocken. »Das löst kein Vertrauen aus«, sagte der Minister.

Die Parteivorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, nannte die Vorwürfe »schäbig«. Auch die im Mittelmeer aktiven Rettungsorganisationen wiesen die Anschuldigungen - erneut - scharf zurück. »Es ist ja nicht das erste Mal, dass de Maizière solche haltlosen Vorwürfe erhebt. Allerdings werden sie durch Wiederholung nicht wahrer«, sagte Verena Papke von »SOS Méditerranée« dem »nd«. NGOs anzuklagen, sie würden nicht nur unprofessionell arbeiten, sondern auch das Geschäft der Schlepper begünstigen, ist mehr als zynisch, so die Sprecherin. »Die Transponder schalten wir nie aus, Scheinwerfer benutzen wir nur im Notfall, wenn wir sie während einer Nachtrettung brauchen.«

Eine aktuelle Recherche von »Zeit Online« hatte sich ebenfalls mit den Vorwürfen beschäftigt. Journalisten werteten dafür über zwei Wochen die Positionsdaten aller zivilen Rettungsschiffe im Mittelmeer aus. Sie stellten dabei fest, dass zwar Lücken in den Funksignalen der Transponder zu erkennen sind, es dafür jedoch »plausible Erklärungen« gibt: So sind die Sendeanlagen kleinerer Schiffe schlicht nicht stark genug, damit ihre Signale die Funkstationen erreichen können. Die Stationen decken zudem nicht das gesamte Mittelmeer ab, auch schlechtes Wetter kann das Übertragen von Signalen erschweren.

Die Journalisten berichten weiterhin, dass im beobachteten Zeitraum zweimal Rettungsschiffe in libysche Hoheitsgewässer gefahren sind. Beide Einsätze waren jedoch von der Rettungsleitstelle in Rom angewiesen und mit libyschen Behörden abgestimmt worden. Das Fazit: »Die Helfer halten sich an die Regeln.«

Ein weiterer Versuch der EU und speziell Italiens, die Arbeit der Rettungsorganisationen in ihrem Sinne zu beeinflussen, ist die Erlassung eines »Verhaltenskodex’«. Laut dem Entwurf dürfen Rettungsschiffe aufgenommene Flüchtlinge nicht mehr an andere Boote übergeben, sondern müssen sie selbst zu einem europäischen Hafen bringen. Die Verzögerungen würden als Folge weniger Einsätze und so mehr Tote bedeuten. Zudem müssten die zivilen Schiffe Polizisten oder Frontex-Beamte mitnehmen, damit diese gegen potenzielle Schmuggler ermitteln könnten.

Das Ziel des Frontex-Chefs Fabrice Leggeri ist laut einem Interview offenbar, die zivilen Rettungsboote in den Grenzschutz zu integrieren: »Alle Schiffe, die sich an Rettungseinsätzen beteiligen, müssen zum Kampf gegen die Schmugglernetzwerke beitragen.« Die Helfer sollen »Beweise« sammeln. NGO-Sprecherin Verena Papke weist diese Vorstellung zurück: »Die privaten Hilfsorganisationen haben ein klares Mandat: Menschen retten. Wir sind weder Polizei, noch Grenzschutz.«

Zur »gemeinsamen« Ausarbeitung des Regelwerks hat das italienische Innenministerium die Seenotretter für kommenden Dienstag nach Rom eingeladen. Bereits im Februar hatten die Hilfsorganisationen einen eigenen freiwilligen Verhaltenskodex veröffentlicht, der sich an dem internationalen Seerecht orientiert.

Aus Sicht von »SOS Méditerranée« sind die Angriffe auf die Seenotretter politisch motiviert: »Die Vorwürfe lenken davon ab, dass die EU und auch Deutschland 2017 noch immer keine gemeinsame Antwort auf die Tragödie im Mittelmeer gefunden haben.« Die Zahlen sprechen für sich: Mehr als 93 000 Migranten erreichten dieses Jahr über einen italienischen Hafen die EU, über 2300 sind beim Versuch ertrunken. Doch anstatt legale Fluchtwege zu ermöglichen oder zumindest die Flüchtlinge und die damit zusammenhängenden Kosten gleichermaßen über den Kontinent zu verteilen, hält vor allem Deutschland an dem »Dublin-Abkommen« fest. Danach ist der Staat für die Migranten zuständig, den sie zuerst erreichen.

Italien ist jedoch derart überfordert, dass Außenminister Angelino Alfano aus Protest die Weiterführung der EU-Grenzschutzmission »Sophia« blockiert. Am 27. Juli läuft der Einsatz aus. Der stellvertretende Außenminister Mario Giro diskutiert zudem öffentlich die Vergabe von temporären Visa, die den Flüchtlingen eine Weiterreise ins EU-Ausland ermöglichen würden. Statt europäischer Solidarität gibt es jedoch nur Exportbeschränkungen für Außenbordmotoren und Schlauchboote nach Libyen.

Die EU-Marine hat sich nach Statistiken der italienischen Küstenwache aus dem heißen Einsatzgebiet längst zurückgezogen. An den Rettungsmissionen beteiligt sie sich nur noch zu einem Bruchteil. Die Schleppernetzwerke konnte sie trotzdem nicht entscheidend schwächen. Die »Aquarius«, das Schiff von »SOS Méditerranée«, musste dagegen kürzlich bereits zum zweiten Mal über 1000 Flüchtlinge an Bord versorgen - bei einer Kapazität von 500 Menschen. »Das Arbeiten an der Belastungsgrenze ist zur Normalität geworden.« Dazu immer neue Anschuldigungen. Eine fatale Dynamik, sagt Verena Papke.

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