nd-aktuell.de / 23.07.2017 / Politik

Ramelow: NSU-Aufklärung muss weitergehen

Thüringer Ministerpräsident: Noch viele dunkle Flecken / Rolle rechtsextremistischer Strukturen im Münchner Prozess unterbelichtet

Berlin. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sieht trotz der bevorstehenden Plädoyers im Münchner NSU-Prozess weiteren Aufklärungsbedarf zu dem rechtsextremen Terrornetzwerk. Vor allem neonazistische Strukturen und ihre juristische Bewertung hätten im NSU-Prozess in München eine zu geringe Rolle gespielt. »Ich habe keine Kritik an dem Verfahren. Aber es ist in manchen Punkten nicht das, was ich mir gewünscht habe.«

Thüringens Regierungschefs sprach von einer Selbstbeschränkung auf die Details einzelner Taten, die sich die Justiz in dem Verfahren auferlegt habe. »Ich habe Zweifel, ob wir ansatzweise an der Wahrheit über das rechte Netzwerk und die NSU-Helfer dran sind«, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Seit dem Auffliegen des NSU 2011 sei durch Untersuchungsausschüsse - vor allem die des Thüringer Landtags und des Bundestages - sowie durch die Strafermittlungen viel an Aufklärungsarbeit geleistet worden. »Aber ich befürchte, es gibt noch viele dunkle Flecken.«

Ähnlich hatte sich zuvor schon Ramelows Parteifreundin Petra Pau geäußert. Die Obfrau der Linkspartei in beiden NSU-Untersuchungsausschüssen sagte mit Blick auf den Prozess, sie erwarte, dass auch nach einem Urteil weiter ermittelt wird, um die Unterstützerstrukturen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aufzudecken. Pau kritisierte im Deutschlandfunk, dass sich die Bundesanwaltschaft früh auf das Trio konzentriert habe und deren Netzwerk nicht weiter in den Blick genommen habe. »Es ist ja nicht so, dass wir jetzt in einer friedlichen Bundesrepublik leben würden, nachdem der NSU aufgeflogen ist. Wir haben täglich Gewalttaten, die durch Nazis auch aus diesem Umfeld verübt werden«, so Pau.

Nach Auseinandersetzungen über mögliche Tonaufnahmen ist derzeit offen, ob die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess an diesem Dienstag (25. Juli) mit ihrem Plädoyer beginnen kann. Er erwarte ein Urteil in dem Verfahren, »aber keine umfassenden Erkenntnisse über die Strukturen des rechten Terrornetzwerkes«, so Ramelow.

Hauptangeklagte ist die aus Thüringen stammende mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Der 42-Jährigen wird Mittäterschaft an allen Verbrechen der rechten Terrorzelle angelastet. Die ebenfalls aus Jena stammenden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die mit Zschäpe im Untergrund lebten und sich vor ihrem Auffliegen töteten, sollen zehn Menschen ermordet haben. Neben Zschäpe sitzen auch einige mutmaßliche Helfer und Unterstützer auf der Anklagebank.

Nach Auffassung von Ramelow krankt die NSU-Aufarbeitung daran, dass viele Akten den Untersuchungsausschüssen und Ermittlern nicht vorgelegen hätten. »Ich habe den Eindruck, es wurden nach dem Auffliegen des NSU Akten schneller geschreddert als untersucht«, so der Linksparteipolitiker.

Der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags hatte den Ermittlungsbehörden gravierende Fehler bei der Verfolgung des NSU und seiner Helfer bescheinigt. Bei der Vorlage des Abschlussberichts war von »Fehlleistungen in erschreckendem Ausmaß« die Rede. Thüringen habe als eine Konsequenz daraus den Verfassungsschutz reformiert, sagte Ramelow. V-Leute könnten nur noch nach einer Einzelfallentscheidung der Regierung eingesetzt werden. dpa/nd