Alt Rehse wird entschleunigt

Nach jahrelangem Streit um das NS-Musterdorf im Nordosten gibt es Licht am Horizont

  • Winfried Wagner, Alt-Rehse
  • Lesedauer: 3 Min.

Für den denkmalgeschützten Park Alt Rehse im Kreis Mecklenburgische Seenplatte sollen nach langem Streit nun ruhigere Zeiten beginnen. Das Dorf wird wie Prora und Peenemünde zu den wichtigsten Bau- und Geschichtszeugnissen aus der NS-Zeit in Mecklenburg-Vorpommern gezählt. Auf dem etwa 65 Hektar großen Gelände, idyllisch am Tollensesee gelegen, ist nun ein Hotel mit Meditationszentrum geplant. Darüber informierten die neuen Eigentümer am vergangenen Wochenende erstmals, wie Ortsvorsteher Fritz Krüger sagte. Dazu gab es in dem seit Monaten geschlossenen Park auch eine Führung.

Der Ort wurde ab 1934 fast ganz neu als NS-Musterdorf aufgebaut. Davon zeugen in den dunklen Fachwerkbalken eingestanzte Namen, wie »Haus Pommern«, »Leipzig«, »Kurhessen« oder »Hamburg«. Zum Dorf gehört der Gutspark, in dem es in der NS-Zeit die »Führerschule der deutschen Ärzteschaft« gab. Sie gilt als geistiges Zentrum des sogenannten Euthanasieprogramms der Nazis. Mediziner wurden hier auf den Massenmord an Kranken und Behinderten vorbereitet.

Der Umgang mit dem Park machte Alt Rehse nach 1990 bundesweit bekannt. Erst verzichtete die Kassenärztliche Vereinigung auf eine Rückgabe. Dann gab es Pläne für ein »alternatives Lebensprojekt«. Das Ganze endete mit einem Prozess wegen Betruges sowie einem vermüllten und stark zugewucherten Park.

»Sie glauben gar nicht, wie viel Müll wir gefunden haben«, berichteten die neuen Eigentümer. Das Hauptthema für die Zukunft sei »Entschleunigung - also wie komme ich von der Alltagshektik runter«, sagte Investorin Gabriele Wahl-Multerer. Die Unternehmerin, die auch im Aufsichtsrat von Jenoptik in Thüringen saß, hatte den 65 Hektar großen Park 2016 gemeinsam mit dem Berliner Unternehmer und Biochemiker Jens Schneider-Mergener gekauft. Der 60-Jährige entwickelte mit Kollegen Medikamente gegen seltene Krankheiten, gründete ein Pharmaunternehmen, was er inzwischen verkauft hat, und rief eine Stiftung ins Leben. Er betreibe bereits ein Meditationszentrum im Vogtland, was aber zu klein geworden sei, so Schneider-Mergener.

Die Investition der Schlosspark Alt Rehse Entwicklungs GmbH werde eine zweistellige Millionensumme kosten, schätzt Schneider-Mergner. Für das Meditationszentrum im westlichen Parkteil sind etwa 80 Betten geplant, das Hotel soll etwa 130 Betten in mehreren Häusern haben und daneben liegen. Die ersten Häuser sollen 2020 öffnen.

Inzwischen haben die Unternehmer fünf Beschäftigte. Sie arbeiten mit dem Landschaftsplaner Stefan Pulkenat zusammen und haben viele Pläne und Probleme. »Unsere ersten Investitionskosten haben sich bereits verzehnfacht«, sagte Schneider-Mergener. So könne das gesamte Wasser- und Abwassersystem nicht mehr genutzt werden, weil es zum Teil zugewachsen sei. Einige marode Häuser sollen weg und modernen »Parkstudios« weichen. Ein »Seehaus« ist geplant, im Park sollen Schwimmbad, Restaurant sowie eine Herberge entstehen. »Wir wollen für Leute da sein, die hier wirklich Ruhe suchen«, sagte Wahl-Multerer.

Die ehemalige »Ärzte-Schule« soll künftig Yoga-, Sport- und anderen Kursen dienen. Andere Fachwerkgebäude würden schonend restauriert und als Unterkunft genutzt, erklärten die neuen Eigentümer.

Die Alt Rehser sehen die Pläne positiv, wie Ortsvorsteher Krüger zusammenfasste: »Ich habe heute zum ersten Mal ein sehr gutes Gefühl.« Dazu trägt auch die neue Konstellation bei: Das Investorenpaar erklärte, man ziehe nach Alt Rehse, denn sonst sei das Projekt nicht zu stemmen.

Sind die Pläne umgesetzt, sollen Interessierten die Parktore erklärtermaßen wieder offenstehen. Der von der Gemeinde geforderte Zugang zum Schiffsanleger am Tollensesee ist bereits wieder möglich. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal