Gesundheit vor Profit

Gerd Lottsiepen fordert von der Autoindustrie Entschädigungen

  • Gerd Lottsiepen
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt halten seit langem ihre schützende Hand über die Autoindustrie. Im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum VW-Skandal wurden LINKE und Grüne von den Fraktionen der Großen Koalition ausgebremst. Der Abgasskandal erfährt nun eine Steigerung durch die Machenschaften des Kartells der Autohersteller VW, Mercedes, BMW, Audi und Porsche. Und es verdichtet sich die Gewissheit: Das Kartell trat an zum materiellen Schaden von Konkurrenten und Zulieferern, Verbrauchern und allen Menschen. Profit ging vor Gesundheit.

Mehrfach hat der VCD bei seinen Recherchen in der Autoindustrie in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Unternehmen sich bei der Offenlegung von Informationen absprechen, und von einem »Informationsverweigerungskartell« der Autoindustrie gesprochen. Zum Beispiel drücken sich die Autohersteller seit Jahren vor Aussagen zur Einführung von Partikelfiltern bei direkt einspritzenden Benzinern. Die Partikelfilter sind für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung notwendig, außerdem sind sie in der Produktion kostengünstig. Bis heute blockieren die Hersteller die marktfähige Technik, nur in der Mercedes S-Klasse ist sie zu finden. Bisher nahmen wir an, dass die Marketingabteilungen sich intern durchsetzen. Jetzt vermuten wir, dass es schlicht Kartellabsprachen gab, um Rendite auf Kosten der Allgemeinheit zu machen.

Zur Person

Gerd Lottsiepen ist verkehrspolitischer Sprecher des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Foto: VCD

Um Fahrverbote für Diesel zu verhindern, lädt die Bundesregierung kommenden Mittwoch zum Nationalen Forum Diesel. Bisher sieht es so aus, dass Verkehrsminister Dobrindt und Umweltministerin Barbara Hendricks mit dem Kartell der deutschen Hersteller sowie Ford und Opel und den Ministerpräsidenten der Länder mit Autoproduktion zusammen kommen. Daneben gibt es nur wenige Teilnehmer wie den Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie. Inhaltlich sollte es um die Gesundheit der Menschen gehen - nicht darum, wie der Diesel vor atmenden Menschen geschützt werden kann. Dieselabgase machen krank, aber kein Mediziner ist eingeladen, kein Vertreter eines Umwelt- oder Verbraucherverbandes. Lediglich der Deutsche Städtetag vertritt Opfer des Abgasskandals: Städte, die die Luftqualitätsgrenzwerte nicht einhalten, werden demnächst wahrscheinlich Fahrverbote verhängen müssen, weil Gerichte wie das Stuttgarter Landgericht am Freitag sie dazu zwingen. Bei dem Treffen, das vor den Meldungen zum Kartell anberaumt wurde, hat die Bundesregierung die letzte Chance vor der Bundestagswahl, sich aus der gepflegten Kumpanei mit der Autoindustrie zu befreien.

Das Kartell, das rechtswidrige Absprachen trifft, konnte so lange funktionieren, weil die Bundesregierung weggeschaut, oder schlimmer noch, mitgemauschelt hat. Es ist schlicht feige, dass der Verkehrsminister den Ball jetzt an die Kartellbehörde der EU spielt. Die Bundesregierung muss entscheiden, ob sie wie Dobrindt Symbolpolitik betreibt oder ob sie am kommenden Mittwoch Zeichen setzt. Dobrindts Rücktritt könnte ein Signal sein - aber was bringt es, einen Minister auszutauschen, der in der neuen Legislaturperiode nicht mehr Verkehrsminister sein wird? Wichtiger sind konkrete Ergebnisse. Die Industrie will die Softwarelösung, aber das Aufspielen neuer Software löst das Problem nicht. Die selbst entwickelte Software wird die Emission nur um einige Prozent senken. Selbst wenn man um 40 Prozent reduziert - was bringt das, wenn der Grenzwert um das Fünffache überschritten wird?

Zumindest alle Euro-5- und Euro- 6-Diesel müssen mit Hardware nachgerüstet werden. Kosten pro Fahrzeug: ab 1500 Euro. Selbstverständlich müssen die Autohersteller die Kosten übernehmen. Sie haben die Autos unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an den Kunden gebracht, sie müssen den Schaden begleichen. Wenn die Autoindustrie den alten Weg weiter geht, die Verbraucher zu missachten und auf den schmutzigen Diesel zu setzen, dann geht sie den Bach runter mit unabsehbaren Folgen für die Volkswirtschaft. Eine Neuorientierung zu emissionsfreien Fahrzeugen ist überfällig - wie auch eine Entschuldigung bei der Bevölkerung, bei uns allen.

Denn nicht nur Autokäufer, sondern wir alle sind betroffen, jeder Mensch, der atmet. Deshalb haben wir auch alle eine Entschädigung für das Gift aus den Dieselmotoren verdient. Volkswagen ist in den USA einen Deal eingegangen, der über 20 Milliarden Euro kostet. Regierung und Industrie sollten am Mittwoch einen Deal verabreden, dass die Hersteller Strafzahlungen in Milliardenhöhe zum Beispiel in das Gesundheitssystem leisten. Dafür gibt es leider keinen Rechtsanspruch, aber alle Wähler, alle Autokäufer haben ein Rechtsempfinden und ein Recht auf saubere Luft.

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