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Viertausend Korrekturen

Albert Schönes Erläuterungen zu »Faust«

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, / Sind ihre Kräfte nicht die meine?« Das fragt Mephisto in der Studierzimmer-Szene von »Faust I«. Beim jungen Karl Marx hakten sich die Verse 1844 fest. Hier war das signifikante Bild, das ihn dazu brachte, die Charakteristik des kapitalistischen »Privateigenthums« zu formulieren: »was ich zahlen kann, d. h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst. So groß die Kraft des Geldes, so groß ist meine Kraft … Ich - meiner Individualität nach - bin lahm, aber das Geld verschafft mir 24 Füsse; ich bin also nicht lahm; ich bin ein schlechter, unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer.«

Man findet den Hinweis auf den Leser Marx bei Albrecht Schöne: in seinen Erläuterungen zu »Faust I«. Er hat Goethes Menschheitsdrama 1994 mit geradezu sensationellem Erfolg für die große Ausgabe der Werke, Briefe und Gespräche im Deutschen Klassiker Verlag ediert. Die Kritik schwärmte. Von unglaublicher Textsicherung war die Rede, von Ohrfeigen für Pantoffel-Professoren. Dabei herrscht doch an modernen, auch gründlich gearbeiteten »Faust«-Ausgaben kein Mangel. Schöne übertraf sie alle, weil er (mit Hilfe seiner Göttinger Studenten) alles noch einmal neu gelesen und mit den Ergebnissen seiner Vorgänger verglichen hatte, Goethes Reinschrift, die Druckvorlagen, die Erstausgaben. Er fand Fehler über Fehler, falsche Satzzeichen, Harmonisierungen, Eingriffe in den Text. Viertausendmal musste korrigiert werden.

Keiner der vierzig Goethe-Bände ist seitdem so oft neu vorgelegt worden wie dieser »Faust« (mit früher Fassung, Paralipomena, Illustrationen und den Daten zur Entstehung). Eben ist in zwei starken, grafisch attraktiv gestalteten Taschenbüchern schon die achte Auflage erschienen, auch sie im Dünndruck und ein letztes Mal durchgesehen, verbessert und im Kommentar auf den neuesten Stand gebracht. Schöne, inzwischen 92 Jahre alt, krönt seine jahrzehntelange Goethe-Beschäftigung mit dieser großartigen, von den Sünden der Goethe-Philologie befreiten Edition.

Selbst der wunderbare Erich Trunz, dem wir die populäre Hamburger Ausgabe verdanken, traute sich nicht, Goethe immer so zu drucken, wie er geschrieben hat. Im vierten Akt von »Faust II«, wo es im Disput mit Mephisto um das ewige Feuer der Hölle geht, heißt es: »Die Teufel fingen sämtlich an zu husten, / Von oben und von unten aus zu pusten.« Sie pusteten, meint das, mit Mund und Hintern. Die meisten Herausgeber, sogar Trunz, haben den Vers einfach, ohne am Wortlaut etwas zu ändern, umgeschrieben. Bei ihnen steht sinnwidrig: »Von oben und von unten auszupusten.« Aber das Feuer in der Hölle, sagt Schöne, brennt immer noch. Gelöscht wurde es nur dort, wo man Goethe das Pusten mit dem Hintern nicht gestatten wollte.

Johann Wolfgang Goethe: Faust, hg. von Albrecht Schöne, Deutscher Klassiker Verlag, Band 1: Texte, Band 2: Kommentare, 852 und 1146 S., br., zus. 29,90 €.

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