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Zum Nutzen der Waffenindustrie

Carsten Jensen: Roman zum Afghanistan-Krieg

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 2 Min.

Grimmelshausen, Suttner, Remarque, Barbusse, Seghers, Plievier - Jensens Buch reiht sich ein in die (bei weitem nicht vollständige) Reihe bedeutender Antikriegs-Literatur! Grimmelshausen behandelte den Dreißigjährigen Krieg. Der von Jensen beschriebene dauert nun schon an die 40 Jahre.

Vordergründig geht es um eine kleine dänische Einheit, die im Rahmen ihrer NATO-»Verpflichtungen« (mir ist nicht bekannt, dass Dänemark jemals von Afghanistan angegriffen worden wäre, ebenso wenig wie Deutschland ...) im südlichen Afghanistan operiert. Es geht um den Verrat eines der Ihren, dem die Mehrzahl des Verbandes zum Opfer fallen soll. Es geht um ein großes »Spiel«, das es zumindest in der Wahrnehmung der auf westlicher Seite beteiligten Personen ist: Der Krieg vom heimischen Computerspiel transponiert in die Wirklichkeit. Einerseits durch eben jenen Verräter. Andererseits durch Leute, die vom sicheren Bildschirm in Nevada aus jeden Quadratmeter Afghanistan überwachen und jeden Quadratmeter dort mit Hilfe von Drohnen zu bombardieren in der Lage sind.

Jensen lässt einen seiner Protagonisten die fatale Frage aufwerfen: »Ist die Unterhaltungsindustrie ein Nebenprodukt der Kriegsindustrie? Oder umgekehrt?« Längst spielen Taliban-Terror, Befriedung, Demokratie, Frauenrechte gar überhaupt keine Rolle mehr! Jensens vorbildlich recherchiertes Buch zeigt nur allzu deutlich, dass es (wie in Syrien) kein Interesse daran gibt, diesen Krieg zu beenden. Schließlich geht es um die Erprobung immer widerlicherer Waffen und Waffensysteme an lebenden Objekten (die so genannten »Kollateralschäden« gehören zum »Spiel«).

Wer zu einem (Anti-)Kriegsroman greift, muss sich von vornherein bewusst sein, auf bestialische Grausamkeiten zu stoßen. Jensens bis ins kleinste Detail gehende Beschreibungen von Mord und Folter rauben dem Leser den Atem. Aus seinen Darstellungen wird aber auch klar, dass wir es bei den Taliban mit einer Art afghanischer Hydra zu tun haben: Jeder getötete Taliban sorgt für zwei neue Angehörige in ihren Reihen. Oder, wie es bei Jensen heißt: »... wenn ihr Afghanistan verlasst, dann nicht, weil ihr den letzten Taliban erschossen habt, sondern weil sich die Taliban verzehnfacht haben, seit ihr gekommen seid. Allein euer Anblick rekrutiert doch ein paar Hundert am Tag ...«

Ein opulenter, bewegender Roman aus einem Krieg, den keine der beteiligten Parteien jemals gewinnen wird - mit Ausnahme der internationalen Waffenindustrie. Eine unausbleibliche Nebenwirkung des Buches: Es weckt Zorn über die regierungsoffizielle Einstufung Afghanistans als »sicheres Herkunftsland«, in das man Asylsuchende problemlos abschieben kann. Eine Lüge, die an Zynismus kaum zu überbieten ist.

Carsten Jensen: Der erste Stein. Roman. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Knaus Verlag, 638 S., geb., 26 €.

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