nd-aktuell.de / 05.08.2017 / Kultur / Seite 9

Nicht nur Schludrigkeit

Anmerkungen eines Historikers zur umstrittenen Rechtsextremismus-Studie

Ulrich van der Heyden

Wegen der im Osten Deutschlands nach der Vereinigung wahrgenommenen zunehmenden fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Aktionen und dem Erstarken von Pegida sowie anderen fremdenfeindlichen bis rechtsradikalen Initiativen und Organisationen hatte sich die SPD-Bundestagsabgeordnete und Ostbeauftragte der Bundesregierung Iris Gleicke entschlossen, zum »läppischen« Preis von 129 391,86 Euro eine Studie in Auftrag zu geben. Sie sollte analysieren, warum gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sich so stark ausdehnen konnten, was für das Ansehen des vereinten Deutschlands in der Welt nicht gerade förderlich ist. Beauftragt mit dieser wissenschaftlichen Analyse wurde das Institut für Demokratieforschung in Göttingen.

Die Studie löste einen Sturm der Entrüstung aus. Jedoch eher nicht, weil sie aus geschichts- und politikwissenschaftlicher Hinsicht als schwache Leistung zu bezeichnen ist und auch in der Aussage völlig an der Realität vorbeigeht, sondern vielmehr wegen parteipolitischer Eitelkeiten und Streitigkeiten. Deutschland befindet sich im Wahlkampf. Und die Studie wirft besonders der CDU-geführten sächsischen Landesregierung - zu Recht - Versäumnisse im Kampf gegen rechte Gesinnung vor. Erreicht wurde etwas, freilich unbeabsichtigt, wovon seriöse Historiker nur träumen können. Nicht gerade für eine objektive Sicht auf die DDR-Vergangenheit bekannte Politiker distanzieren sich, werfen der Studie Unwissenschaftlichkeit vor. Aber keiner wird dabei konkret.

Denn es geht nicht nur um einige handwerkliche Fehler, nicht nur darum, wie ein Autor der Studie, der 1988 geborene Doktorand Danny Michelsen, gegenüber einer Zeitung einräumte, »dass wir im Namensverzeichnis nicht mit Sternchen noch einmal gekennzeichnet haben, welche Interviewpartner anonymisiert wurden«. Es geht selbst nicht darum, dass der CDU-Politiker, Bundeswehrgeneral, Berliner Innensenator und sodann Innenminister des Landes Brandenburg Jörg Schönbohm in der Studie zum »ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten« aufgestiegen ist und Chile unter Salvador Allende faktenwidrig als »realsozialistisch orientierter Staat« bezeichnet wird oder die Rede von »Solidaritätskomitees« ist, wenngleich es in der DDR nur ein Solidaritätskomitee gab. Es geht auch nicht um solche lächerlichen, für den Auftrag der Studie unwichtigen Redundanzen wie die Behauptung, dass die in DDR-Betrieben lernenden und arbeitenden Vertragsarbeiter gern Nähmaschinen, Fahrräder und Mopeds kauften und in die Heimat schickten. Die Studie wartet zudem mit zahlreichen widersprüchlichen Angaben und Aussagen auf. Nach der Behauptung auf Seite 34, dass es in der DDR 8600 rassistische oder antisemitische Vorfälle gegeben habe, folgt auf Seite 107 der Kommentar des durch seine Arbeiten zur DDR-Geschichte anerkannten Historikers Stefan Wolle, der zu Bedenken gibt: »Sicher ist die hohe Zahl auch der Registrierungssucht der Stasi geschuldet.«

Gravierender als Widersprüche und Schludrigkeiten sind jedoch grundsätzlich falsche Aussagen wie jene, dass die DDR-Führung eine »Verschleierung des Faschismus« erzwungen habe. Wenige Zeilen später beruft man sich auf Richard Stöss, Autor des 2010 erschienenen Buches »Rechtsextremismus im Wandel«, der zum Urteil kam, dass rechtsextremistische Parolen in der DDR »anfangs weniger eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus waren«, sondern vor allem eine »Identifikation mit dem Feind des Feindes«. Unkenntnis besteht bei den Autoren offensichtlich auch hinsichtlich der Unterschiede der Straftatbestände des »Rowdytums« (Paragraf 215 ) und der »Faschistischen Propaganda, Völker- und Rassenhetze« (Paragraf 92) im Strafgesetzbuch der DDR.

Pauschal wird eine »latente ethnonationale und fremdenfeindliche politische Kultur der DDR« unterstellt, wenngleich die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung gegenteilige Erfahrungen gemacht hat. Es stimmt ebenfalls nicht, dass ausländische Studierende und Auszubildende »meist nicht länger als ein Jahr in der DDR verbrachten« (S. 35). Wie sollte dies in der Praxis funktionieren? Abgesehen davon, dass die DDR gerade ob ihrer guten mehrjährigen Studien- und Ausbildungsangebote in den Ländern der sogenannten Dritten Welt hochgeschätzt war. Deren Wunsch, insbesondere von Vietnam und Mosambik, nach (allerdings auch den Bedürfnissen der DDR-Wirtschaft entgegenkommenden) anhaltender Arbeitsmigration wird in der Studie als »Vernutzung billiger Arbeitskraft« (S. 36) denunziert.

Da wird von »Völkertreffen« schwadroniert (S. 158), auf denen es ausnahmsweise Kontakte zwischen Vertragsarbeitern aus der »Dritten Welt« und der DDR-Bevölkerung gegeben haben soll, und von einem »anerzogenen und gewohnten Nicht-Bild von Menschen aus fremden Kulturen« in der DDR-Gesellschaft geschrieben. Völlig ignoriert werden die vielen Filme und Bücher, die den an Reisen in alle Welt gehinderte DDR-Bürger die Welt ins Haus brachten, ebenso internationale Sportveranstaltungen, wissenschaftliche Konferenzen, Jugendtreffen und die beiden Weltfestspiele 1951 und 1973 in der DDR.

Die Studie kolportiert: »Insbesondere die ausländischen VertragsarbeiterInnen nahmen nicht am gesellschaftlichen Leben in der DDR teil.« (S. 35) Die Vertragsarbeiter hätten »isoliert« leben müssen, da die SED eine Integration nicht nur nicht beabsichtigte, »sondern vielmehr aktiv verhinderte« (S. 36). Die »ausländischen VertragsarbeiterInnen« seien von der DDR-Bevölkerung »streng segregiert« worden (S. 32). Da fragt man sich, wie trotz der »rigiden Segregation« (S. 105) allein junge mosambikanische Männer tausend Kinder mit deutschen Frauen zeugten; andere Schätzungen gehen von bis zu 5000 mosambikanisch-deutschen Kindern aus. Wie konnten diese zur Welt kommen, wenn »sich der Kontakt zu AusländerInnen auf von oben inszenierte Rituale in Solidaritätskomitees« (S. 32) beschränkt hätte? Durch mehrfache Wiederholung der Behauptung, Vertragsarbeiter seien von der DDR-Bevölkerung »argwöhnisch beäugt« worden, wird auch diese nicht überzeugender.

Allzu offensichtlich scheint hier die krampfhafte Suche nach möglichen Wurzeln für heutige Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der DDR-Vergangenheit durch. Man scheut davor zurück, eine heilige Kuh zu schlachten. Man fragt nicht danach, was nach der deutschen Vereinigung 1990 schiefgelaufen ist, warum die vom »Kanzler der Einheit« versprochenen »blühenden Landschaften« ausblieben und viele Ostdeutsche beklagten, dass ihnen nach 1990 nicht nur die Arbeit, sondern auch ihre Würde genommen wurde.

1996 hat Daniela Dahn in ihrem Buch »Westwärts und nicht vergessen« den Sozialphilosophen Oskar Negt mit seiner Warnung zitiert, man könne nicht die Biografien eines ganzen Volkes mit einem Schlag für null und nichtig erklären. Wer andauernd in einem demütigenden Entwertungszustand gehalten werde, der beginne mit der Wiederherstellung seiner Würde auf einer rebellierenden Ebene. Die Unruhe, so Daniela Dahn in einem Zeitungsbeitrag jüngst zum Tod von Helmut Kohl, zeigte sich zunächst in einem enormen Aderlass an jungen, kreativen, gebildeten und lebenslustigen Menschen, die im gewendeten Osten keine Zukunft sahen. Zurück blieben weniger Bewegliche und ein im Vergleich zu Westdeutschland überdurchschnittlich hoher Anteil an Rentnern, die oft vorzeitig in den Ruhestand geschickt worden waren. Die von Negt vorhergesagte Rebellion habe sich schließlich in Fremdenfeindlichkeit und Zusammenschlüssen wie Pegida und AfD entladen - in einem »neuen Nationalismus der Deklassierten«, vor den namhafte Wirtschaftswissenschaftler aus beiden deutschen Staaten in ihrem »Warnruf der ökonomischen Vernunft« bereits im Februar 1990 vorausgesagt hatten.

In einem Streitgespräch mit dem Linkspolitiker Oskar Lafontaine bemerkte der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (CDU): »Die wildgewordenen Spießer, die heute mit Pegida auf die Straße und gegen Asylbewerber zu Felde ziehen, sind nicht so, weil sie in der DDR lebten, sondern weil sie scheißende Angst haben, dass ihnen ihr bisschen Wohlstand verloren gehen könnte. Das ist nicht die Furcht vor dem Fremden, sondern vor ihrer eigenen Zukunft, die ungewiss ist. Diese Furcht hat nun wahrlich nichts mit der DDR-Vergangenheit zu tun.«