Datenchaos im Zentralregister

Seit langem kritisiert die LINKE die Verwendung ungesicherter Zahlen in der Asyldebatte, jetzt erhält das Thema einen neuen Schub - dank Frank-Jürgen Weise

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

»Teils gravierende Fehlentscheidungen« sieht Frank-Jürgen Weise in Asylverfahren. Der Mann muss es wissen, denn er war bis Anfang des Jahres selbst Chef des zuständigen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Behörde entscheidet über die Asylanträge von Flüchtlingen. Gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« äußerte sich Weise nun über Mängel des Ausländerzentralregisters (AZR), auf dessen Datengrundlage eine Bewertung des Asylgeschehens in Deutschland erst möglich wird. In dem Register sind zehn Millionen ausländische Staatsangehörige erfasst, darunter etwa 5,7 Millionen aus Nicht-EU-Staaten. Auf die Mängel ist Weise in seiner neuen Aufgabe als Berater des Bundesinnenministeriums gestoßen. Er soll dafür sorgen, dass die Behörden bei der Bearbeitung der Asylanträge wie bei Abschiebungen effektiver zusammenarbeiten.

Den 600 Ausländerbehörden in den Ländern obliegt die Verwaltung des AZR, also auch seine Pflege und Aktualisierung. Weise fand zahllose Ungereimtheiten und Fehler, so etwa Daten von Menschen, »die längst nicht mehr am Leben sind, oder von Bürgern, die deutsche Staatsbürger geworden sind und in dem Register eigentlich nicht mehr auftauchen sollten«, wie ihn die »Süddeutsche« zitiert. Auf diese Mängel weist die LINKE im Bundestag jedoch bereits seit Jahren hin. Und zwar deshalb, weil in der Debatte über Gesetzesverschärfungen immer wieder überhöhte Zahlen angeblich ausreisepflichtiger Ausländer verwendet werden - unter Berufung eben auf das Ausländerzentralregister.

Dank einer Prognose der Wirtschaftsberatungsgesellschaft McKinsey im Auftrag der Bundesregierung kursiert seit Monaten eine Zahl von 500 000 Ausreisepflichtigen, die bis Ende des Jahres zusammenkommen sollten. Immer wieder wurde mit dieser Zahl die Debatte über einen vermeintlichen Nachholebedarf bei der Abschiebung von Ausländern befeuert. McKinsey kassierte für seine Studie 1,8 Millionen Euro, das Ergebnis ist trotzdem falsch. Auf eine Anfrage der LINKEN gab die Bundesregierung im Juni eine Zahl von 220 000 Ausreisepflichtigen an. Bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass auch diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist.

Einen Eintrag über die Ausreisepflichtigen gibt es im AZR gar nicht. Die Angaben werden aufgrund beispielsweise von erteilten Duldungen hochgerechnet - Geduldete bilden den größten Teil der Ausreisepflichtigen. Unter ihnen vermutet die LINKE jedoch einen Großteil von Menschen, die aufgrund der geltenden Rechtslage gar nicht abgeschoben werden dürfen. Und damit auch nicht ausreisepflichtig sind. Das Problem ist nicht neu. Schon 2010 zeigte sich auf Nachfragen der Linksfraktion, dass bei 45 000 angeblich »Ausreisepflichtigen ohne Duldung« eine spätere Aufenthaltserteilung im Ausländerzentralregister einfach nicht vermerkt worden war.

»Fehlerhafte Dateneingaben können Rückkehrprozesse erheblich verlangsamen«, heißt es hingegen in dem Bericht, den Frank-Jürgen Weise nun als »Leitfaden zur Verbesserung der Datenqualität im Ausländerzentralregister« den Bundesländern zur Verfügung gestellt hat. Diesen Schluss kann man sicher auch ziehen; Rückkehrprozesse, also vor allem Abschiebungen, sollen aber nicht verlangsamt werden. Weshalb Weise den Ländern nun die Bereinigung der Daten im Ausländerzentralregister anempfohlen hat. In seinem Leitfaden gibt er den Behörden Tipps, wie sie die Datenqualität verbessern können. Was, wie er einräumt, nicht so einfach ist. Die Behörden haben schon ohne Datenpflege genug zu tun.

Weise hat für die Lage der Ämter Verständnis, denn er hat selbst erfahren, wie schwierig es ist, die Erwartungen der vorgesetzten Stelle zu erfüllen. In seiner Zeit als Chef des BAMF ruhten alle Hoffnungen auf eine Beschleunigung der Asylverfahren auf seinen Schultern. Diese Erwartungen haben sich letztlich auch nur teilweise erfüllt, trotz erheblicher Aufstockung des Personals und einer rigiden Abwicklung der Asylverfahren, deren Qualität krasse Mängel aufweist, wie Kritiker meinen. Zum Beispiel wegen der Trennung von Anhörungen der Asylbewerber und der Entscheidung über ihre Asylanträge. Die Bundesregierung gibt zwei Monate als Bearbeitungsdauer von Asylanträgen in neu geschaffenen Entscheidungszentren an - auch dies stimmt nur bei den Fällen »ohne Bleibeperspektive«, die in besagten Zentren abgewickelt werden. Im Durchschnitt dauert ein Verfahren selbst in diesen Zentren 10,9 Monate und damit nur wenig unter dem Gesamtdurchschnitt von 11,3 Monaten. Dass für die Bearbeitung inzwischen immer mehr befristete Jobs geschaffen werden, ist dabei für die Bearbeiter so fragwürdig wie für ihre »Kunden«.

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