nd-aktuell.de / 07.08.2017 / Politik / Seite 14

Edel wohnen im alten Gefängnis

In der bayerischen Landeshauptstadt werden ehemalige Behörden zu Luxusquartieren umgebaut

Rudolf Stumberger, München

»Die neueste Luxus-Hütte« titelte kürzlich etwas zornig die Lokalzeitung. Denn egal ob ehemaliger Hochbunker, Arbeitsamt, Altbau oder Gefängnis - in München, der Hauptstadt der hohen Mieten, wird von Nobelbauträgern alles zu Luxusquartieren umgebaut, was auf dem Markt zu haben ist.

Beispiele dafür gibt es reichlich in der bayerischen Landeshauptstadt: Von der ehemaligen Hauptpost in der Arnulfstraße über das alte Handelshaus in der Maistraße bis zum ehemaligen Arbeitsamt in der Thalkirchner-Straße 56. Das alte Handelshaus heißt heute Isar-Stadt-Palais und eine 5-Zimmer-Dachterassenwohnung kostet dort mehr als eine Million Euro. Und wo früher die Arbeitslosen für die Stütze anstanden, wohnen heute - gut abgeschirmt - die Millionäre; das Anwesen ist nicht öffentlich zugänglich.

Das gilt auch für den Innenhof, in dem nach der Räterepublik von 1919 Arbeiter von Weißen Truppen erschossen wurden. Klar ist, dass in derartige Gebäude natürlich nur Menschen einziehen, »die sich Wohneigentum nur als Ausdruck von erlesenem Geschmack, Stilempfinden und dem Gefühl, es sich wert zu sein, vorstellen können«, wie es in der Anzeige einer Immobilienfirma heißt. Und klar ist, dass so quasi die Bewohner eines Viertels ausgetauscht werden, München wird zusehends zu einer Stadt der Erben und sonstiger Menschen mit leistungslosem Einkommen und Vermögen.

Das jüngste Beispiel in dieser Hinsicht findet sich unter der Adresse Am Neueck 10. Noch reiht sich in dem düsteren, langgestreckten Gebäude ein vergittertes Fenster an das andere: Bis vor acht Jahren diente es als Gefängnis. Unten rauscht der Auer-mühlbach vorbei, doch die Gefängnisinsassen konnten ihn weder hören noch sehen, ihre Zellen gingen nur auf den kahlen Innenhof. 1918 saß hier Kurt Eisner, Revolutionär und erster Ministerpräsident des Freistaates, ein. Er hatte damals den großen Januarstreik der Arbeiter organisiert und war wegen Hochverrats verhaftet worden. Fast genau 100 Jahre später steht ein großes Plakat vor dem Gebäude und kündet von einem künftigen Haus Mühlbach. Hier sollen aus den alten Zellen bald »elegante 1- bis 4-Zimmer-Wohnungen« werden.

Noch präsentiert sich dem Besucher das ehemalige Gefängnis, bis auf einige begonnene Umbauarbeiten, fast wie früher. Da sind die Zellen hinter einer schmalen und niedrigen Tür, in der Mitte eine Schließklappe. In dem schmalen Raum sind noch die Befestigungen an der Wand für die Schlafpritsche und den Tisch zu sehen. Steckdosen für den Betrieb eines Radios oder einer eigenen Lampe gab es hier nie. Das Fenster ist vergittert und geht auf einen tristen Hof. Links in der Ecke befindet sich eine Kloschüssel und ein Waschbecken. Am Ende eines Ganges befindet sich der Duschraum. An den Wänden und Türen sind noch immer die offiziellen Aufschriften zu lesen: »Vernehmungsraum 2« etwa. Oder »Psychologischer Dienst«.

Bereits im 19. Jahrhundert befand sich hier am Auermühlbach eine Strafanstalt für 500 Gefangene in einem ehemaligen, umgebauten Paulaner-Kloster. 1901 wurden die Insassen schließlich in das bayerische Zentralzuchthaus für Männer in Straubing verlegt. In der Au errichtete man von 1902 bis 1904 ein neues Gefängnis, einen neoklassizistischen Bau mit rund 120 Haftplätzen, der heute unter Denkmalschutz steht.

Unter der Nazi-Herrschaft waren hier Widerstandskämpfer der Weißen Rose wie Alexander Schmorell und Kurt Huber inhaftiert, oppositionelle Frauen wurden in »Schutzhaft« genommen.

Seit 1969 verfügte das Gefängnis über eine Frauenabteilung und eine Jugendarrestanstalt und wurde als Untersuchungsgefängnis für das benachbarte Amtsgericht genutzt. Bei den Frauen, die hier einsaßen, ging es in der Regel um Abschiebehaft, um Untersuchungshaft oder um »Kurzstrafhaft im Erstvollzug«. Die Haftbedingungen waren eher beengt. Für die Gefangenen auf den drei Stockwerken gab es nur einen Fernsehraum. Einmal am Tag war Hofgang, eine Stunde lang. Weil es keinen Speisesaal gab, wurde das Essen in den Zellen neben den offenen Kloschüsseln eingenommen.

2009 war es mit dem Neubau des Frauen- und Jugendgefängnisses an der Schwarzenbergstraße nahe Stadelheim vorbei mit diesen Haftbedingungen, Neudeck wurde geschlossen. Was folgte, war eine Diskussion über die künftige Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes. So trat die Münchner Obdachlosenzeitschrift »Biss« auf den Plan, man wollte den ehemaligen Knast in ein Hotel umwandeln, in dem Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen eine Ausbildung absolvieren können.

Aber es fehlte an Geld. Der Haushaltsausschuss im Landtag beschloss 2011 daher, das Gebäude (es gehörte dem Freistaat) an finanzstarke Investoren zu verkaufen. Die wiederum planten, das Gebäude am Auermühlbach zu zehn Luxuswohnungen und 135 Apartments umzubauen. Dies war im Vorfeld bereits auf wenig Gegenliebe des Bezirksausschusses gestoßen, der die Stadt aufgefordert hatte, das Gelände zu übernehmen. Doch das schwarz-rot besetzte Rathaus winkte ab mit dem Argument »zu teuer«.

Aber die Investoren kamen nicht voran, juristische Streitigkeiten mit dem benachbarten Landratsamt ließen das Bauprojekt jahrelang vor sich hin dümpeln, das ehemalige Gefängnis stand leer. Im Frühjahr 2017 wurde das Anwesen von dem Bauträger Legat Living erworben, der sich auf »hochklassige Immobilien in ausgesuchten Premiumlagen in München« spezialisiert hat.

Jetzt soll der Umbau vorangehen und aus dem »herrschaftlichen Baudenkmal« - dem ehemaligen Gefängnis - sollen nach »behutsamer Renovierung« 124 Appartements mit 23 bis 50 Quadratmetern entstehen. Ob auf das geplante Haus Mühlbach auch das Karma von 100 Jahren Knastleben übergeht, bleibt dann die Frage spirituell angehauchter Kauf-Interessenten.

Klar ist in jedem Fall: Die Au, das alte Stadtviertel, wird sich verändern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht das ehemalige Werksgelände der Paulaner-Brauerei zur Bebauung an und gleiches gilt auf dem Isarhochufer entlang der Regerstraße. Erst vor wenigen Tagen wurde dort der Kamin gesprengt. Damit schreitet in der Landeshauptstadt jener Prozess weiter voran, bei dem ehemalige Industrieflächen, Kasernengelände und Behördenbauten durch moderne Wohnbebauung und Luxuswohnungen ersetzt werden.