Abfluss und Himmelsleiter

Stefan Petermann hat einen Blick für das »Daneben und Darunter und Darüber«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Er liest gern, er schreibt gern - und muss sich in diesem Lande, das sich »Leseland« kaum mehr nennen darf, einen Weg bahnen. Stefan Petermann, 1978 in Werdau geboren, lebt in Weimar, und dies ist schon sein viertes Buch. Weil man davon aber nicht leben kann, war er über verschiedene Stipendien froh, die ja oft - wohl oder übel - mit Aufenthalten anderswo verbunden sind.

Manchmal inspiriert das zu Geschichten. Zum Beispiel wenn er in Wels, wo er 2015 Stadtschreiber war, sich anscheinend nicht aus seinem Hotelzimmer hinausbewegt, um über eine »Sommerfrische« im Salzkammergut zu schreiben. Leicht ironisch und gekonnt im Konjunktiv, weil man ja eigentlich schon alles wissen kann über den Traunsee, Bad Ischl, über Hallstadt, den Wolfgang- und den Attersee. Sagen wir, man könnte, aber man braucht auch eine lebendige Vorstellungskraft dazu. Diese Vorstellungskraft, verbunden mit einer »eigenartigen Balance aus Leichtigkeit und Schwere, Tiefe und herausplatzender, sich ins Volle stürzender Anarchie«, wie Herausgeber André Schinkel im Vorwort schreibt, sorgt beim Lesen für Vergnügen.

18 Erzählungen, sie lassen sich kaum auf einen Nenner bringen: Der Band beginnt mit einem verstopften Abfluss und endet mit einem Märchen, in dem eine Prinzessin durch einen wagemutigen Prinzen aus der Macht des Dunkeltrolls befreit wird. Der Prinz erweist sich allerdings als Mistkerl, was wir nicht erwartet hätten. So schafft es Stefan Petermann immer wieder, uns zu überraschen. Die Stimmungen wechseln, wenn einer in einem Eisloch steckt (»Wunde«) und danach ein anderer aufbricht zu einer Reise ins Unbekannte (»Der weiße Globus«). »Er möchte Ungewissheit.« Der Autor will unser Verstehen: Wir haben es hier mit nachdenklichen, empfindsamen Leu᠆ten zu tun, ihren Unsicherheiten, ihrem Irren, ihrem Wunsch, sich irgendwie zu verorten, erkannt zu werden in ihrem Da-Sein, aber aufdringliche Nähe würden sie schwer ertragen.

Da gibt es Sonderlinge wie »Enno Pan«, »Glöckchen« oder »Quirin«, der die Welt mit seiner Zunge erkunden muss. Aber sind die »normalen Bürger« nicht oftmals noch viel eigenartiger? In der Kita findet ein Kuchenbasar statt, um Spenden für Syrien zu sammeln. Der Ich-Erzähler, der schon in jenem Lande war, wird gebeten: »Sag was über Syrien«. Doch dann will es eigentlich keiner so genau wissen.

Einer meint, dass er viel liest und fasziniert davon ist, wie seine Gedanken in Traditionen stehen. »Gedanken und Gegenwart. Ich gebe sie in ein imaginäres Petrischälchen, werfe sie in eine Schüssel, in einen Topf, in einen schönen Pott«, wobei »ein Gedankengebräu zur Gegenwart« entsteht. Moment: Tut das ein Schriftsteller nicht auch? Aber der das im Buch von sich gibt, heißt Bernd Höcke und nicht Björn, wobei die Vornamen in einer Thüringer Zeitung schon mal verwechselt wurden. Hysterisch, lächerlich wirkt das Wüten dieses Mannes gegen den »Asiatischen Marienkäfer«. Und was sagt uns das?

Ein andermal steigt eine Frau auf eine Leiter im Wald, immer höher und höher, und alles, was da unten war, verlor sich ins Nichts. Eine Himmelsleiter? Eine ins Verderben? Ein Schriftsteller brauche den »Blick für das Daneben und Darunter und Darüber«, so Stefan Petermann. »Ich darf dabei sein, aber niemals darin ... Ich nehme den Moment und messe ihm die größte Bedeutung bei und leite daraus das Recht zu schreiben ab. Dazu addiert sich meine Wahrnehmung, die wankelmütig ist und sich von Nichtigkeiten beeinflussen lässt … Was ich bestenfalls leisten kann: Zwischen guten und schlechten Sprachbildern unterscheiden.«

Stefan Petermann: Der weiße Globus. Geschichten. Edition Muschelkalk im Wartburg Verlag. 88 S., br., 14 €.

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