Multimillionär als Steigbügelhalter

Erneut scheiterte in Kosovo die Konstituierung des Parlaments / Serbiens Präsident ruft zur Zukunftsdebatte auf

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle Mahnungen fruchteten nicht: Die Botschafter der fünf wichtigsten Schutzmächte Kosovos ermahnten am Wochenende die kosovarischen Volksvertreter, sie müssten an der Sitzung des Parlaments teilnehmen. Dennoch ist am Montag die Konstituierung des Parlaments zum vierten Mal gescheitert. An der Sitzung nahmen nur 53 von 120 Abgeordneten teil, die Volksvertretung war nicht beschlussfähig.

Weil sich die sogenannte Kriegskoalition (PAN) um den früheren UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj noch immer keine Mehrheit verschaffen konnte, blieben deren Abgeordnete ihrem Arbeitsplatz erneut fern: Zwei Monate nach den Parlamentswahlen hat der bitterarme Staatsneuling weder ein funktionsfähiges Parlament noch eine Regierung.

Der vorgezogene Urnengang im Juni hatte Kosovo nicht wie erhofft klarere Mehrheitsverhältnisse, sondern nur ein Patt und die Fortsetzung der politischen Agonie beschert. Das von der langjährigen Regierungspartei PDK, NISMA und Haradinajs AAK gebildete PAN-Bündnis blieb mit 35 Prozent der Stimmen weit hinter den Erwartungen zurück. Selbst mit den Abgeordneten der serbischen Minderheit und abgeworbenen Überläufern kann es bisher nur 60 der 120 Parlamentarier hinter sich vereinen.

Doch auch die erstarkte linksnationale Vetevendosje (VV) des früheren Studentenführers Albin Kurti sowie das Wahlbündnis der bisher mitregierenden LDK scheinen zur Bildung einer Mehrheit nicht in der Lage. Das Patt könnte nun der reichste Mann des Landes durchbrechen. Der mit Hilfe der LDK ins Parlament gelangte Multimillionär Behgjet Pacolli deutete in den letzten Tagen einen Lagerwechsel der vier Abgeordneten seiner AKR an. Der könnte Ex-Premier Haradinaj doch noch die Rückkehr auf die Regierungsbank ermöglichen.

Pacollis Ultimatum an die LDK und VV, innerhalb von zehn Tagen den Nachweis einer Mehrheit zu erbringen, bewerten Beobachter als klares Zeichen, dass er auf ein Zusammengehen mit der PAN drängt. »Es scheint, als ob sich Pacolli für die PAN entschieden hat, unabhängig davon, dass er seine vier Abgeordneten nur dem Wahlbündnis mit der LDK zu verdanken hat«, konstatiert die Zeitung »Koha Ditore«.

Wie auch immer das Dauergewurstel um eine neue Regierungsmehrheit enden wird - stabile Mehrheiten und einen Aufbruch in bessere Zeiten scheinen im Kosovo kaum zu erwarten. Serbiens allgewaltiger Präsident Aleksandar Vucic hat derweil seine Landsleute zu einem »inneren Dialog« über die Zukunft der seit 2008 unabhängigen, aber von Belgrad noch immer nicht anerkannten Ex-Provinz aufgerufen. »Wir müssen als Volk damit aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken«, so seine Botschaft. Man könne nicht darauf warten, »dass uns das in die Hände fällt, was wir längst verloren haben«.

Ob der Ex-Nationalist seine Landsleute tatsächlich auf die faktische Anerkennung Kosovos vorzubereiten trachtet, oder ob der PR-Stratege von unerfüllten Wahlversprechen ablenken will - zumindest Serbiens Blätterwald lässt sein Vorstoß kräftig rauschen.

Von der Anerkennung über die Teilung des Kosovos bis hin zur sofortigen Einstellung des Nachbarschaftsdialogs reicht die Palette der meist sattsam bekannten Positionen. Obwohl Vucic Kosovo zur »Schlüsselfrage« für den anvisierten EU-Beitritt erklärt, scheint ein rascher Kurswechsel Serbiens oder gar die Anerkennung der Ex-Provinz kaum zu erwarten. So streitet Belgrad derzeit wieder einmal gegen die Aufnahme des von 111 der 193 UN-Staaten anerkannten Kosovo bei internationalen Organisationen wie Interpol und der Unesco. Von einer Normalisierung könne keine Rede sein, solange Serbien ständig Kampagne gegen Kosovo führe, ärgert sich dessen früherer Außenminister Enver Hoxhaj.

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