Arthur Warncke (Berlin, 1987)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Er kam unangemeldet, wofür er sich entschuldigte, wies sich als Oberleutnant Arthur Warncke vom Ministerium für Staatssicherheit aus und bat um ein Gespräch. Ich ahnte, um was es ging, und sah keinen Grund, mich zu sperren.

Der Oberleutnant kam zügig zur Sache. Als Erstes ließ er sich bestätigen, dass Professor Dr. Werner Breker und ich befreundet waren, und fragte dann, ob ich Auskunft geben könne, auf welche Weise sich er und seine Familie nach Westberlin abgesetzt hatten. Er sah mich prüfend an, und als ich ihm erklärte, ich könne ihm dazu nichts sagen, nickte er. Er schien mir das abzunehmen und erklärte sich einverstanden, als ich ihm anbot, wenn ich schon über das Wie der Flucht der Familie Breker nichts zu sagen wüsste, ich zumindest das Warum erklären wolle, damit darüber Klarheit herrsche.

»Sehr gut«, sagte der Oberleutnant. Ich bat ihn, Platz zu nehmen. Dafür dankte er mir. Eine Bewirtung lehnte er ab, legte seinen Hut auf die Kante des Schreibtisches, setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl und wartete ab. Ich sagte, es wäre gut, wenn meine Darlegungen aufgezeichnet würden, und auch dazu nickte er, zog ein kleines Tonbandgerät aus der Tasche, legte es neben seinen Hut und schaltete es ein. Ein rotes Lämpchen signalisierte, dass es arbeitete.

Oberstleutnant Warncke zeigte sich aufmerksam bis zum Ende, wobei sein Ausdruck undurchdringlich blieb. Ehe er das Gerät abschaltete, fasste er, was ich gesagt hatte, noch einmal zusammen; dass Professor Dr. Breker (»mein Freund«, wie er betonte) mit der für ihn geplanten Versetzung ins Krankenhaus der Volkspolizei, trotz höherer Besoldung und anderer Vorteile aus folgenden Gründen nicht einverstanden gewesen sei: Einengung seiner persönlichen Freiheiten, Unterbindung aller Westkontakte, ihn streng einschränkende Verhaltensnormen gegenüber seinen Patienten, absolute Parteilichkeit in punkto DDR und Ähnliches mehr. Außerdem sei ihm aufgestoßen, dass ihm die Einfuhrgenehmigung eines Mercedes verweigert worden war, den der Westberliner Vater einer Patientin ihm für seine ärztliche Fürsorge vermacht hatte.

Hier stutzte der Oberleutnant und schüttelte den Kopf. Das mit dem Mercedes fand er in Anbetracht der gehobenen Stellung des Professor Breker wenig überzeugend. Eine Villa in Köpenick, in der Garage ein brandneuer Wartburg - wie konnte er da so viel Aufhebens wegen eines Westautos machen? »Schwer nachvollziehbar«, meinte er. »Sie vergessen die anderen Gründe«, erinnerte ich ihn. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er. Er wies auf das Tonbandgerät: »Die sind ja alle festgehalten.«

Er erhob sich, stand jetzt vor mir - eine stattliche Erscheinung in grauem Tuch. Sein Ausdruck blieb undurchdringlich wie gehabt. Was ich ihm mitgeteilt habe, sei erhellend, er würde es an die zuständigen Stellen weiterleiten. »Nur eins noch«, fügte er hinzu: »Befreundet, wie sie und Professor Breker ja waren, hat er da Ihnen gegenüber wirklich nie über seine Absicht, die Republik zu verlassen, ein Wort verloren?« - »Nie.« »Also auch keine Silbe darüber, wie das zu schaffen sei?« - »Auch das nicht.« »Ich will Ihnen das glauben«, antwortete er, worauf ich ihn wissen ließ, dass er das wohl müsse: »Ich hätte ja auch schweigen können.« »Hätten Sie«, gab er zu, steckte das Tonbandgerät weg und nahm seinen Hut.

Ehe er die Wohnung verließ, gab er mir noch einen Hinweis auf die Gründlichkeit seiner Behörde: »Deckt sich alles mit den Aussagen Ihrer Frau, deren Arzt Professor Dr. Breker ja war«, sagte er. Dann ging er.

Ich sah ihn nie wieder. Nach der Wende aber wurde ich noch einmal an ihn erinnert: Seine Unterschrift tauchte unter einem handschriftlichen Vermerk am Rande des Protokolls eines Informanten auf, das ich in meiner Stasiakte fand. In dem Protokoll wurde ich bezichtigt, die Adressen von DDR-Ärzten, die das Land verlassen wollten, in den Westen vermittelt zu haben. »Eingehend überprüft und als unrichtig befunden«, lautete Oberleutnant Warnckes Vermerk - womit er mich, da darf ich sicher sein, vor etlichen Jahren Bautzener Haft bewahrt hat.

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