Des Landtags Ende nach 18 Minuten

Ruck, zuck hatte Niedersachsens Parlament sich selbst aufgelöst - Keine Reden, keine Debatte

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Die nicht alltägliche Selbstauflösung eines Landtages weckt Erwartungen. In der Sitzung, in der ein noch amtierendes Parlament sein Ende beschließt, werde dieser und jener Rückblick zu hören sein, war zu vermuten. Gutes aus den Reihen der regierenden Fraktionen, Kritisches von der Opposition. Doch wer so etwas am Montag in Hannover erhofft hatte, wurde jäh enttäuscht. Erwähnte doch Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) eingangs der Sondersitzung: Eine Besprechung des Antrages, mit dem alle Fraktionen die Auflösung des Parlaments befürworteten, finde nicht statt. Kein Widerspruch war zu hören, vermutlich hatte sich das Plenum auf diesen Verfahrensablauf geeinigt.

Und so war das Ende des derzeitigen Niedersächsischen Landtags schon 18 Minuten nach Sitzungsbeginn beschlossene Sache. Von den 136 anwesenden Abgeordneten - das Plenum hat 137 Parlamentarier - stimmten 135 für, einer gegen die Auflösung.

Waren die Parlamentarier des Hickhacks müde, den es seit dem rot-grünen Regierungsstart Anfang 2013 immer wieder gegeben hatte zwischen Koalition und Opposition? Und der in den vergangenen Wochen heftig aufgebrandet war nach dem am 4. August verkündeten Wechsel der Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU und dem damit verbundenen Verlust der Einstimmenmehrheit des Regierungslagers? Verzichteten beide Seiten deshalb darauf, vor der formellen Auflösung ihres Landtages so etwas wie Resümees zu ziehen vor Plenum und Gästen?

Vielleicht war es gut so. Denn wahrscheinlich wäre nichts anderes vom Pult erklungen als eine Wiederholung der Regierungsbilanz, mit der Rot-Grün schon Anfang Juli vor die Öffentlichkeit getreten war. Und voraussichtlich hätten CDU und FDP einen solchen Vortrag am Montag ähnlich zerpflückt, wie sie es seinerzeit mit der fast 30-seitigen Eigenlobbroschüre aus der Staatskanzlei getan hatten.

»Gute Jahre für das Land« hatte die Regierungszentrale von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) das Druckwerk betitelt - ein Bericht zur 17. Legislaturperiode, zu den Jahren 2013 bis 2017 unter Rot-Grün. Ein Musterstück der Beweihräucherung eigenen Tuns, eine für den Wahlkampf gut geeignete Schrift.

Klar, von einer solchen Bilanz erwartet niemand, dass sie auf die Vergabeaffäre im Wirtschaftsministerium eingeht, auf das Debakel um den Grünen-Staatssekretär Paschedag und seinen zu dicken Dienstwagen oder auf die Klagen vor dem Staatsgerichtshof, die sich Weil & Co. von der Opposition eingefangen hatten, etwa wegen der Verweigerung von Akteneinsicht. Doch die eine oder andere Anmerkung, dass nicht alles so geklappt hat, wie man es zu Beginn der Koalitionsjahre plante, hätte der Glaubwürdigkeit des Papiers gut getan.

Aber nein, die Landesregierung war und ist grundgut, so ist aus dem Rückblick herauszulesen. Niedersachsen ist sicher, sorgt für mehr Wohnraum und Krippenplätze und für eine gute Breitbandstruktur, hat solide Finanzen, ist Spitzenreiter bei erneuerbaren Energien, und, und, und.

Gewiss, CDU und FDP hätten, wären sie am Ruder gewesen, wohl ebenfalls eine nette »Bilanz der guten Taten« herausgegeben. Als Opposition aber nutzen sie das rot-grüne Werbewerk, kaum war es am 4. Juli vorgestellt worden, gar trefflich zum Eindreschen auf die Regierungskoalition. Sie sei verantwortlich für »miserable Unterrichtsversorgung und gravierenden Lehrermangel« und unterschätze »fatal die Gefahr des islamistischen Terrors«. Auch sei es ihr nicht gelungen, das Unternehmen Homann davon abzubringen, seine niedersächsische Produktion nach Sachsen zu verlegen. Die Union schließt ihr rot-grünes Sündenregister mit der Feststellung »,diese Landesregierung wird nicht wiedergewählt«.

Verständlich: SPD und Grüne sind anderer Meinung. Aus ihren Reihen hieß es während der Landtagssitzung, die jüngst dem Twesten-Übertritt folgte: Auch der kommende Ministerpräsident heiße Stephan Weil. Das allerdings klingt wie Pfeifen im finstren Walde. Nicht zuletzt mit Blick nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo rot-grüne Landesregierungen 2017 abgewählt wurden. Auch angesichts dessen bezeichnete ein Kommentator das Regierungsbündnis in Niedersachsen unlängst als »aussterbende Spezies«.

Völlig gestorben ist der Landtag allerdings trotz seiner Auflösung noch nicht. Er ist dem Gesetz zufolge nach wie vor handlungsfähig und wird noch einmal im September zusammenkommen, um unstrittige Gesetze zu verabschieden.

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