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Die Arschkarte im Adelsstand

Zum Tode des US-Schauspielers Jerry Lewis

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Er war der Mensch, der sein Ursprungsunglück, nicht als Gummiball geboren worden zu sein, in Filme umsetzte. Wenigstens die Augen rollten. Und der ganze Kerl - überrollte. Die Mundwinkel planten die Weltumsegelung - jeder nach einer anderen Kopfseite hin. Schrill hampelte er die Wahrheit heraus: Untergänge mindern nicht im mindesten das Lodern der Besessenheit - mit aller Kraft ein Ziel zu verfehlen. Und wahrlich, die Gaudi-Gestalten von Jerry Lewis verfehlten jede Vorgabe. Wo sie regeltreu sein wollten, stifteten sie Chaos. Wo sie der Folgsamkeit ein Haus bauen wollten, bildeten bereits die Fundamente ein Trümmer-Terrain.

Lewis war der Waalkes des Wild(geworden)en Westens. Der Trampel-Triumphator. Der tragische Tropf. Der quiekende Quälgeist. Der ewig in einen falschen Auftrag Gepresste. Die Nerven wie Flöhe in fortwährend blubbernder Blutbahn. Mit den Typen, die er spielte, erhob er die Arschkarte in den Adelsstand eines Kreuz-As. Lassen wir die Inhalte! Der Inhalt ist immer - er. Das zuckt und zappelt, das zetert und zauselt, grässlicher geht’s nicht, aber hässlicher immer. Liebenswerte Dummhirne und zappelnde Käferseelen. Er war das Chamäleon zahlreichster physisch-psychischer Belagerungszustände, unter denen ein Mensch leiden kann.

Als Sohn eines russisch-jüdischen Nachtklubsängers wurde Jerry Lewis 1926 in New Jersey geboren. Gemeinsam mit Paul Dino Crocetti gründete er 1945 ein Bühnenduo. Eine maßlose Feier des wahrlich schönsten Scheins - des Geldscheins: bis zu sieben Auftritte pro Tag brachten 300 000 Dollar die Woche. Sechzehn Filme entstanden. Zwei wie Tom und Jerry oder Dick und Doof oder Lemmon und Matthau. Der Mann und das Männchen, der Schöne und der Schusslige. Der Gentleman mit Schmelz und der Hüpfling für die Fettnäpfe. Crocetti strahlte das Sex appeal aus, Lewis rackerte sich ab im Slapstick. Ging aber mehr und mehr als Sieger von der Bühne. Die Liaison endete im bitteren Streit. 20 Jahre schwieg man gegeneinander. Als Crocetti 1995 starb, ging ein Weltstar, sein Bühnenname lautete seit den Zeiten mit Lewis: Dean Martin. Lewis am Grab: »Du Hurensohn! Hättest mich mitnehmen sollen.«

Lewis’ Kinohits (»Der Bürotrottel«, »Geisha Boy«, »Hallo, Page«, »Der verrückte Professor«) entstanden wie am Fließband; am Ende freilich hatte man das Empfinden, der Komiker würde angetrieben nicht mehr von seinem Herz, sondern von einem heißgelaufenen Motor. Der doch so großen Witz besaß, erzählte nur noch Witze. Der fiebrige Vorwärtsdrang war irgendwann nur noch flatternde Flucht. »Ich wollte das ewige Kind sein und das ewige Kind spielen, aber ich war die alte, blecherne Spieluhr.« Natürlich spielte er weiter, trat bis 2016 - seit Jahrzehnten beinahe ohne Pause - in Las Vegas auf. Er konnte nicht anders. Er hatte Krebs überstanden, einen Herzinfarkt, aber Gesundung fühlte er nur, wenn das heiße Scheinwerfer ihm die Seelenhaut ansengte. Das Familiengen.

Ein seltsames Leben. Pausenlose Intensität. Und eine unerwartete Steigerung mitten aus den Niederschlägen einer Tablettensucht heraus. Martin Scorsese besetzte ihn als Partner von Robert De Niro in »King of Comedy«, und der Komödiant wirkte wie eine Neugründung. Er gab einen erbarmungslosen Animateur und Profiteur des Showgeschäfts, als habe er ein Leben lang lederne Lumpen gespielt. Und 1972 hatte er »The Day the Clown Cried« gedreht. Ein Plot aus purem Frost: Ein deutscher Clown begleitet Kinder in einem Konzentrationslager ins Gas. Grausam grotesk. Waghalsiger Wahnwitz. In der Hauptrolle Lewis selbst. Ein Experiment lange vor jener Geläufigkeit, die längst auch vor dem Holocaust nicht halt macht. Irgendwann jedoch: Abbruch, der Film landet im Safe. Lewis: »Ich habe mich vertan.« Geständnis eines Scheiterns: aus weltberühmter Wurstigkeit hin zu einer Würde, die mehr zählt.

Nun ist Jerry Lewis, der große Summen für muskelkranke Menschen sammelte und sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, im Alter von 91 Jahren gestorben. Was er in vielen, naturgemäß nicht immer sehr hochwertigen Filmen, lieferte - das bleibt goldbarrenglänzende Schmiere, ist eine ganz große Metamorphosenchose. Ist Verwurstung, gerettet hin zur Verhanswurstung. Und im dreist Derben, Drolligen schimmert doch stets die wehe Dünnhäutigkeit des fürchterlich verlorenen und verunsicherten Menschen durch.

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