Die Furie, die aus der Kälte kam

Im Kino: »Atomic Blonde« von David Leitch

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Sich gegen zahlreiche Gegner durch mehrere Etagen eines Treppenhauses zu kämpfen, kann sehr anstrengend sein. Diese Selbstverständlichkeit war durch die schweißlose Performance zahlreicher Actionhelden vorübergehend in Vergessenheit geraten. Seit einigen Jahren ändern sich die Gewaltdarstellungen wieder und den körperlichen Strapazen des handgemachten Mordens wird auf der großen Leinwand zunehmend Rechnung getragen. So auch in der bis zum Seelentod durchgestylten Brutalo-Agenten-Farce »Atomic Blonde«. Das Töten ist hier, trotz rasanter Hochgeschwindigkeits-Schnitte, eine teils langwierige und mühsame Maloche, die Charlize Theron als Geheimagentin unter bevorzugter Verwendung von Alltagsgegenständen wie Korkenzieher, Schuhabsatz oder Gartenschlauch (!) auf sich nimmt.

Die ausgedehnte, kaum geschnittene und ziemlich faszinierende Treppenhaus-Szene ist (für sich genommen) ganz großes, fast schon kunstvolles Actionkino und übertrifft in ihrer Perfektion noch »The Raid«, jenen krassen und stilbildenden indonesischen Independent-Actionfilm des Briten Gareth Evans, der fast ausschließlich in von Feinden versperrten Hochhausgängen spielt. Für Therons hauenden und stechenden Agenten-Charakter Lorraine Broughton ist der »neue«, brutal-geerdete James Bond ebenso Referenz wie Jason Bourne, Mad Max Rockatansky - und natürlich das momentane Maß der verrückt-furiosen Action: John Wick. Letzterer ist keine Überraschung, da Regisseur David Leitch beim Film über den von Keanu Reeves gespielten Nadelstreifen-Rächer Ko-Regisseur war und sich wohl vor allem dadurch für »Atomic Blonde« empfohlen hat.

Die Handlung ist bei »Atomic Blonde« nebensächlich und man beschließt schnell, dass man ihr nicht folgen muss: Im verregneten Berliner Herbst von 1989 verpasst der britische Agent Gascoine (Sam Hargrave) den Fall der Mauer knapp, denn er wird von einem russischen Killer erschossen, um ihn um eine Liste mit Doppelagenten zu erleichtern. Das bringt die sehr spezielle Spezial-Agentin und supercoole Eiskönigin Lorraine Broughton (Theron) im Debby-Harry-Blondie-Look ins Spiel. Sie soll die Liste aufspüren. In Berlin steht ihr der zwielichtige David Percival (glaubhaft durchtrieben: James McAvoy) zur Seite und stehen ihr jede Menge (bevorzugt russische) Finsterlinge im Weg. Zusätzlich gibt es alle möglichen, wie gesagt irrelevanten, Verwicklungen um Doppel- und Doppel-Doppel-Agenten. »Atomic Blonde« tut unschuldig und tarnt sich als »unpolitische« Pop-Spielerei. Dennoch lässt sich der Film mitten im aktuellen Kalten Krieg die gute Gelegenheit, schon wieder böse Russen beim Töten zu zeigen, natürlich nicht entgehen.

Vorlage des Films ist ist die Graphic Novel »The Coldest City« von Antony Johnston. Bei »Atomic Blonde« kommen die Spione jedoch nicht »aus der Kälte« wie Richard Burton in der klassischen, entgegengesetzt inszenierten John le Carrè-Verfilmung - sie haben die Kälte viel mehr verinnerlicht, tragen scheinbar allesamt ein Herz aus Eis in ihren im Film teils übel zugerichteten Körpern. Diese Kälte und Leere erfasst leider schnell den ganzen Film. »John le Carré auf Ecstasy« nennt das Berliner Stadtmagazin »Zitty« diese Mischung aus 80er-Jahre-MTV-Ästhetik und drastischer Gewalt, während der »Hollywood Reporter« zu Recht etwas tiefer stapelt: »Ein Übermaß an Stil und James McAvoy in einer geschmackvollen Nebenrolle helfen dabei, die Zeit zwischen den Kampfszenen zu füllen.«

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