»Harvey« setzt Texas unter Wasser

Behörden erwarten zehntausende Menschen in Notunterkünften

  • Lesedauer: 4 Min.

Houston. Bryan Curtis fährt normalerweise zum Vergnügen mit seinem Jet-Ski. Nun hat er es zum Rettungsfahrzeug gemacht. Curtis lebt in Conroe, etwas nördlich der texanischen Metropole Houston. Er ist einer der vielen Zivilisten, die bei der Rettung der Flutopfer helfen, welche Monstersturm »Harvey« mit seinen ungeheuren Wassermassen zurückgelassen hat. »Ehrlich gesagt, denke ich momentan überhaupt nicht an mich selbst«, sagt Curtis. »Es geht nur darum, dass die Menschen Hilfe brauchen, ich bin hier um zu helfen, ich will etwas beitragen.«

Das Ausmaß der Katastrophe in Houston - der viertgrößten Stadt der USA und der größten im Bundesstaat Texas - überfordert die staatlichen Rettungskräfte völlig. Bei den Rettungsaktionen hilft deshalb nun eine ganze Reihe an Freiwilligen. Einige bildeten Menschenketten, andere warfen ihre Motorboote an, um ihre Mitmenschen aus den Wassermassen in Sicherheit zu bringen.

Texas

Texas gehört zu den größten und bevölkerungsreichsten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten. Zwischen dem Tal des Rio Grande im Süden und Amarillo im Nordwesten leben rund 28 Millionen Menschen. Wichtigste Städte sind das Ölzentrum Houston im Süden, Dallas und die Staatshauptstadt Austin. Neben der Energiewirtschaft ist die Landwirtschaft in Texas noch immer prägend. Sinnbildlich sind die großen Rinderherden. Die Cowboy-Tradition wird in vielen Orten von Texas noch immer hochgehalten. Fort Worth bei Dallas gilt etwa als Hauptstadt der Rodeoszene. Einst zu Mexiko gehörig, erklärte sich Texas nach kriegerischen Auseinandersetzungen 1836 für unabhängig. Neun Jahre später wurde es in die Vereinigten Staaten von Amerika eingegliedert. Texas ist einer der Staaten, in dem noch die Todesstrafe angewendet wird. Traditionell wird es von den konservativen Republikanern regiert. dpa/nd

»Harvey« hatte Texas am Freitagabend (Ortszeit) als Hurrikan der zweithöchsten Kategorie erreicht. Es war der stärkste Wirbelsturm seit 2005, der das US-Festland traf, und der stärkste seit 1961 in Texas. Binnen 24 Stunden fielen in Houston 60 Zentimeter Regen. Laut Vorhersage könnten es bis Donnerstag insgesamt 127 Zentimeter werden. Mindestens drei Menschen kamen bereits ums Leben.

In Houston wurden Straßen zu Flüssen, Autos kommen dort nicht mehr voran. Einige der wenigen Fahrzeuge, die in der Millionenmetropole noch auf den Straßen zu sehen sind, sind riesige Lastwagen - an Bord gerettete Menschen. »Wir gehen der Reihe nach durch die Stadtteile und machen uns über Lautsprecher bemerkbar«, sagt der örtliche Beamte Alan Rosen dem Lokalsender KTRK. »Wir versuchen, die Leute auf uns aufmerksam zu machen und rufen: ›Hey, seid ihr bereit zur Evakuierung?‹« Es gebe aber nicht genügend Mittel, um jeden zu retten, klagt er. »Wir tun wirklich alles, was wir können.« Curtis sagt, er und ein Freund hätten der Katastrophenschutzbehörde ihre Hilfe per Jet-Ski angeboten. »Wir warten nur auf einen Anruf von ihnen, um zu erfahren, wo sie uns brauchen«, sagt er.

Jet-Ski oder Boot bleiben oft die letzten Mittel auf der Suche nach Menschen, die das Wasser von der Außenwelt abgeschnitten hat. Auch James Lofton hilft bei den Rettungseinsätzen. Mit seinem Boot hat der Bewohner von Houstons Vorort Spring Valley bereits zahlreiche Menschen aus dem Hotel »Omni« in Sicherheit gebracht. »Wir haben den ganzen Nachmittag über Leute vom ›Omni‹ weggebracht«, erzählt Lofton. Eine der letzten, die das Hotel verließ, war eine Frau, die gerade erst eine Rücken-Operation hinter sich hat und sehr vorsichtig an Bord von Loftons Boot gebracht werden musste. »Man konnte sehen, dass sie gerade erst operiert wurde und große Schmerzen hatte, das war eine schmerzhafte Fahrt für sie«, sagt Lofton.

Auch in Victoria, einer 67 000-Einwohner-Stadt in Texas, ist die Lage dramatisch. »Gott, hilf uns allen«, ist auf einem Brett zu lesen, mit dem das Fenster eines Hauses verrammelt ist. »Wir haben im Moment kein Trinkwasser«, klagt John Moraida. »Wir müssen Wasser suchen, oder wir sammeln Regenwasser, um die Toilette spülen zu können«, sagt der Bewohner von Victoria.

Auch wenn sich der Wind in Victoria abgeschwächt hat, ist es erst der Beginn der katastrophalen Überschwemmungen in der Region, denn der Regen lässt nicht nach. Während sich die Bewohner fragen, was noch kommen mag, hat der örtliche Katastrophenschutz bereits angekündigt, dass der Wiederaufbau Jahre dauern wird. Und ein Ende der Verheerungen ist noch lange nicht in Sicht: Das Nationale Hurrikanzentrum der USA sprach von »beispiellosen Überschwemmungen« und sagte am Montag weitere heftige Regenfälle voraus. Die Behörden rechneten damit, dass sie mehr als 30 000 Menschen in Notunterkünften unterbringen müssen. Der texanische Gouverneur Greg Abbott sagte, die Lage werde sich weiter verschlimmern. Schon jetzt gingen die Schäden »in die Milliarden«. Das Weiße Haus kündigte am Sonntag an, Präsident Trump werde am Dienstag die betroffenen Gebiete besuchen. Im Kurzbotschaftendienst Twitter hatte Trump zuvor geschrieben, er werde erst nach Texas reisen, wenn dies »keine Störung« des Katastropheneinsatzes verursache. Der Schwerpunkt müsse »auf Leben und Sicherheit liegen«. Agenturen/nd

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