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Frieden ist ihr Lieblingswort

Kerstin Kühn tritt im alten Bundestagswahlkreis von Dagmar Enkelmann für die LINKE an

»Frieden ist mir das Wichtigste, Frieden ist mein Lieblingswort«, sagt die Rechtsanwältin Kerstin Kühn. »Wenn es im Bundestag um Rüstungsprojekte oder Kriegseinsätze geht, da wüsste ich, wie ich abstimmen würde«, erklärt sie.

Unter Umständen könnte es wirklich dazu kommen. Denn Kühn kandidiert bei der Wahl am 24. September für den Bundestag. Die brandenburgische LINKE setzte Kühn zwar nur auf den ziemlich aussichtslosen Platz sieben der Landesliste. Doch die Anwältin tritt außerdem als Direktkandidatin im Wahlkreis 59 an. Diesen Wahlkreis, gebildet aus dem Kreis Märkisch-Oderland und dem südlichen Teil des Barnim, hatte die damalige Bundestagsabgeordnete Dagmar Enkelmann (LINKE) 2009 mit einem großen Vorsprung von 13,6 Prozent gewonnen und 2013 mit einem geringen Rückstand von 1,1 Prozent an Hans-Georg von der Marwitz (CDU) abgeben müssen.

In den Umfragen zur Bundestagwahl dümpelte die brandenburgische LINKE zuletzt bei 16 Prozent herum. Zum Vergleich: 2013 erzielte die Partei im Bundesland noch 22,4 Prozent, und selbst dies war für die Verhältnisse der Sozialisten schon ein mäßiges Ergebnis. Es ist deshalb fraglich, ob der Landesverband irgendeinen Wahlkreis holen kann. Wenn überhaupt, dann aber vielleicht diesen hier. Denn hier gab es 2013 die meisten Erststimmen für die LINKE.

»Wir bleiben optimistisch«, bekräftigt Dagmar Enkelmann, die Kerstin Kühn am Sonntag zu ihrer Gesprächsreihe »Offene Worte« in den AWO-Treff in Bernau einlud. 37 Männer und Frauen sind zu dieser Veranstaltung erschienen. Enkelmann wünscht sich, als sie Kerstin Kühn vorstellt, dass die Zuhörer am Ende denken werden: »Eigentlich müsste man, sollte man, könnte man gar nicht anders, als am 24. September diese Kandidatin zu wählen.«

Die Kandidatin ist Jahrgang 1963, wurde in Weimar geboren, lebt jetzt im Bernauer Ortsteil Schönow, ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist seit einem Jahr Oma. Sie wollte einst zur Erweiterten Oberschule. Doch Jungs, die Offizier werden wollten, wurden ihr vorgezogen. So war das damals. Um trotzdem die Hochschulreife zu erwerben, begann Kühn eine Ausbildung mit Abitur - zur Facharbeiterin für Eisenbahntransporttechnik. Die einzige Alternative wäre Chemiefacharbeiterin mit Abitur gewesen, erzählt sie. Eisenbahnerin, das war nicht ihr Traumjob. Am ersten Tag weinte sie. Doch schließlich sei sie froh und stolz gewesen, Eisenbahnerin zu sein. Kühn studierte Rechtswissenschaften, arbeitete im Forschungsinstitut des Verkehrswesens der DDR, bei der Reichsbahndirektion und bei der Deutschen Bahn, schließlich beim Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. Mit den Eigentumsansprüchen von Männern, die 1958 Frau, Kind und Haus im Stich ließen und in den Westen gingen, sei sie jedoch nicht klargekommen, sagt sie. Deshalb habe sie dort aufgehört und sich als Anwältin selbstständig gemacht.

In die SED ist Kerstin Kühn als 19-Jährige eingetreten, war einfache Genossin, nie ein hohes Tier. In der Partei, die sich seither wandelte und mehrfach umbenannte, ist sie geblieben. Sie sei weder dogmatisch noch ein Betonkopf, betont sie auf eine Nachfrage hin.

Gefragt wird sie jetzt generell viel, seit ihr Konterfei auf Plakaten zu sehen ist, die im Wahlkreis an fast jedem Laternenmast hängen. Manche möchten am Infostand einen anwaltlichen Ratschlag. Doch da könne sie nur bitten, einen Termin in ihrer Kanzlei zu vereinbaren, bedauert sie. Ansonsten gibt es viele Fragen zur Rente, keineswegs nur von alten Leuten, außerdem Fragen zur Asylpolitik. »Was wollen die Flüchtlinge hier, die nehmen uns alles weg«, sind Sätze, die sie zu hören bekommt.

Ein Lokführer, der sich zuvor schon versichert hat, dass die ehemalige Reichsbahnkollegin Kühn dagegen ist, das Streikrecht der Lokführer zu beschneiden, meldet sich noch einmal zu Wort. Er stelle sich Fragen zum Asylrecht und zur Terrorgefahr, für die er selbst keine Antworten habe, bekennt er. Die einfachen Antworten der rechtspopulistischen AfD - »alle raus, keiner mehr rein« - befriedigen ihn nicht. Denn es gebe doch nun einmal Flüchtlinge, die friedlich sind und eine Zuflucht finden müssen.

Eins kann Kerstin Kühn ganz klar sagen: Sie ist kategorisch gegen Abschiebungen in Krisengebiete, wo das Leben der Menschen bedroht ist, beispielsweise in Afghanistan.

Die Rede kommt noch auf viele andere Themen, etwa darauf, dass es nicht sein dürfe, dass 40 Prozent der Beschäftigten heute real weniger Lohn bekommen als 1995. »Das wird immer weggebügelt«, beschwert sich die Anwältin. Sie schimpft auch über die im Internet verbreiteten Fakenews und gesteht: »Ich bin nur deshalb bei Facebook, weil ich für den Bundestag kandidiere. Wenn ich am 25. September nicht gewählt bin, wird der Account gelöscht.«

Ziemlich zum Schluss, kurz vor 12 Uhr, lobt ein Wähler: »Eine sympathische Frau.« Ein anderer verspricht: »Meine Stimme haben Sie.« Den Favoriten Hans-Georg von der Marwitz (CDU) zu schlagen, ist dennoch eine sehr schwierige Aufgabe. Doch wie sagt Dagmar Enkelmann: »Wir bleiben optimistisch.«

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