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Merkel mahnt im Umgang mit Türkei zur Vorsicht

Türkische Gemeinde kritisiert Forderung nach Abbruch der EU-Beitrittsgespräche / Malu Dreyer erleichtert über Freilassung festgenommener Deutscher

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in der Debatte über ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zur Vorsicht gemahnt. Merkel warnte am Dienstag im Bundestag vor einem offenen Konflikt zwischen den EU-Staaten bei dem Thema. »Nichts wäre erstaunlicher, als wenn wir uns in Europa über die Frage des zukünftigen Umgangs mit der Türkei vor den Augen des Präsidenten Erdogan öffentlich zerstreiten«, sagte sie.

Die Kanzlerin kündigte an, beim nächsten regulären EU-Gipfel im Oktober mit den anderen Mitgliedstaaten über die zukünftigen Beziehungen zur Türkei zu beraten - »eingeschlossen auch die Frage, dass wir die Verhandlungen suspendieren oder beenden«. Eine solche Frage müsste die EU im Konsens entscheiden. Merkel betonte, es handele sich um einen »Vorgang, der natürlich entschieden, aber auch wohl bedacht durchgeführt werden sollte«.

Die Kanzlerin verwies auf die »strategische« und »große« Bedeutung der Beziehungen zur Türkei. Sie mahnte, auch die regierungskritischen Bürger der Türkei sowie die türkischstämmigen Bürger in Deutschland nicht aus dem Blick zu verlieren. »Wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen«, sagte Merkel.

Die Kanzlerin hatte sich im TV-Duell mit ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz am Sonntagabend klar gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen und angekündigt, sie werde mit ihren EU-Kollegen über einen möglichen Abbruch der Beitrittsgespräche sprechen. Zuvor hatte Schulz in der Sendung überraschend den Abbruch der Verhandlungen gefordert und damit eine langjährige SPD-Position verändert.

Türkische Gemeinde kritisiert Forderung nach Abbruch der EU-Beitrittsgespräche

Die Forderung von Spitzenpolitikern im Bund nach einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei ist bei der Türkischen Gemeinde in Deutschland auf deutliche Kritik gestoßen. »Die Pläne der Bundesregierung, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, sind ein Riesenrückschritt«, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, der »Rheinischen Post« (Dienstagsausgabe). Er mahnte: »Das stärkt in Deutschland den Rechten und in der Türkei Erdogan den Rücken.«

Das Signal, dass die Türkei nicht zu Europa gehöre, sei falsch, sagte Sofuoglu weiter. Dies schwäche die demokratischen Kräfte in der Türkei, die dort versuchten, die Demokratie zurückzugewinnen. Er kritisierte: »Union und SPD tun im Bundestagswahlkampf so, als ob die Türkei nur aus Erdogan und seinen Anhängern besteht.« Dabei sei die Mehrheit in der Türkei demokratisch gesonnen. »Die deutsche Regierung muss auch bedenken, dass es eine Zeit nach Erdogan geben wird.«

Die Haltung von Merkel und Schulz war in der Türkei auf harsche Kritik gestoßen. Der Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warf Merkel und Schulz am Montag »Populismus« vor. Die Äußerungen würden »Diskriminierung und Rassismus« fördern.

Malu Dreyer erleichtert über Freilassung von Deutscher in der Türkei

Die Mainzer Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) hat die Verhaftung eines rheinland-pfälzischen Ehepaars in der Türkei scharf kritisiert. »Als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz finde ich es unerträglich, dass Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer in der Türkei aufgrund von vermutlich politischen Vorwürfen verhaftet werden«, erklärte sie in einer Mitteilung am Montagabend. Sie zeigte sich erleichtert, dass die Frau inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Zugleich betonte sie, dass der verhaftete Mann ein Anrecht auf konsularische Betreuung habe. Auch er müsse schnellstmöglich freikommen, sollte es weiterhin keine rechtlich nachvollziehbaren Gründe für seine Inhaftierung geben, verlangte sie.

Dreyer äußerte sich besorgt über die Situation in der Türkei. Wenn Bürger anderer Staaten um ihre Freiheit fürchten müssten, wenn sie in die Türkei reisten, zeige das, dass der Weg des Landes weg von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führe. »Das ist angesichts der langen und engen Freundschaft zwischen dem deutschen und dem türkischen Volk eine traurige Entwicklung, für die die politische Spitze der Türkei die alleinige Verantwortung trägt.« Agenturen/nd

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