Kritische Linke unerwünscht

Kandidatin Canan Bayram und ihr Wahlkampf in Friedrichshain-Kreuzberg sind Grünen-Realos ein Dorn im Auge

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Berliner Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost ist für die Grünen prestigeträchtig. Hier hat Hans-Christian Ströbele das bundesweit bisher einzige Direktmandat der Partei gewonnen. Er verteidigte es dreimal. Zuletzt gelang ihm dies 2013. Nun hat sich der frühere RAF-Anwalt dazu entschieden, sich im Alter von 78 Jahren aus der Politik zurückzuziehen.

Mit Canan Bayram, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, wurde eine Nachfolgerin gefunden, die politisch ähnlich tickt wie Ströbele. Doch das passt einigen Realos der Grünen nicht. Die »Berliner Zeitung« berichtete kürzlich von internen E-Mails, in denen Volker Ratzmann, Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund, in einem geschlossenen, parteiinternen Verteiler über Bayram geschrieben haben soll, dass sie »echt nicht wählbar« sei.

Ratzmann treibt offenbar die Sorge um, dass bei einem Gewinn des Direktmandats durch Bayram die frühere Fraktionschefin Renate Künast, die den dritten Listenplatz in Berlin innehat, nicht wieder in den Bundestag einziehen könnte.

Zudem zitierte der »Tagesspiegel« namentlich nicht genannte »führende Grüne aus Bund und Land«, die sich über ein Schreiben aufregten, in dem sich Bayram an die Wähler gewandt hatte. Darin steht, dass man ihr auch dann die Erststimme geben könne, »wenn Sie einer anderen Partei nahestehen und diese wählen«. Das wäre in dem Bezirk nicht ungewöhnlich. Ströbele hatte hier vor vier Jahren 39,9 Prozent der Erststimmen erhalten, die Grünen aber nur 20,8 der Zweitstimmen. Es liegt nahe, dass viele Wähler von Linkspartei und SPD ihre Erststimme Ströbele gegeben haben. Trotzdem behaupten Bayrams interne Kritiker laut »Tagesspiegel«, dass sie sich mit ihrem Schreiben von der Bundespartei distanziert habe.

Bayram widerspricht dem. Gegenüber »nd« sagte sie, dass sie zuletzt große Unterstützung von ihrem Landesvorstand und von der Bundesebene erhalten habe. Allerdings hat sie intern auch einige Gegenspieler. Sie ist nicht durch die Landesliste abgesichert, auf der sie den vierten Platz angestrebt hatte. Wenn es ihr nicht gelingen sollte, das Direktmandat zu erreichen, bleibt sie Mitglied des Abgeordnetenhauses.

Inhaltlich will sich Bayram nicht verbiegen lassen. Dem »nd« teilte sie mit, dass sie zu ihren Aussagen und Plakaten stehe. »Die E-Mails, über die berichtet wurde, kenne ich nicht und deswegen will ich mich auch nicht an Debatten darüber beteiligen«, so Bayram. Sie finde es wichtiger, dass alle Grünen auf die Straße gehen und Wahlkampf für ihre Partei machen. Für Diskussionen bei den Grünen hatten zuletzt Plakate der Ökopartei in Friedrichshain-Kreuzberg gesorgt, auf denen steht: »Die Häuser denen, die drin wohnen.« Die Bundespartei sprach von einer »lokalen« Kampagne und nannte den Spruch »missverständlich«.

Bayram schließt jedoch in der Wohnungspolitik Enteignungen nicht aus. »Wenn ich in den Bundestag gewählt werden sollte, will ich über die Frage diskutieren: Wenn wir für Autobahnen enteignen können, warum können wir zum Schutz der MieterInnen nicht das gleiche Instrument anwenden?« Sie fügte hinzu, dass das kommunale Vorkaufsrecht praktisch auch eine enteignende Norm sei, weil der Eigentümer dann nicht mehr frei entscheiden könne.

Hinter den Streitigkeiten zwischen Realos und linken Grünen steht offensichtlich die Frage, ob die Partei nach der Bundestagswahl am 24. September für Union und FDP als regierungsfähig gelten kann. Schwarz-Gelb-Grün ist laut Umfragen derzeit die einzige realistische Regierungsoption für die Grünen, über die sie nach der Wahl auch ernsthaft diskutieren würden. Auf der Website der Ökopartei heißt es, wenn eine Aussicht auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen bestehen sollte, werde ein Parteitag in Berlin am 21. Oktober über die Aufnahme dieser Gespräche entscheiden.

Parteilinke wie Bayram könnten aus Sicht der Realos ein Unsicherheitsfaktor sein. Das gilt etwa für Abstimmungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Bayram kündigte gegenüber »nd« an, bei jedem Einsatz genau abzuwägen und sich für den Frieden einzusetzen. Bereits jetzt sei für sie klar, »dass ich Interventionskriegen nicht zustimmen werde und die Truppen aus Afghanistan abgezogen werden müssen«.

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