Wir müssen miteinander reden

... und der Haustürwahlkampf ist dabei erst der Anfang. Ein Gastbeitrag über linke Mobilisierung und Menschen, die von Politik nichts mehr erwarten

  • Anne Steckner
  • Lesedauer: 5 Min.

Um den Wahlkampf an der Haustür gibt es einigen Wirbel in den Medien und sozialen Netzwerken. Die Stimmen reichen von begeisterter Erfolgsmeldung bis zu Skepsis und Ablehnung. Ob von Fans oder Gegnern, Haustürwahlkampf wird oft auf Stimmenmaximierung reduziert. Damit verbunden ist die strittige Frage: Was bringt’s? Dabei kann das Potenzial von Haustürgesprächen für linke Politik aus dem Blick geraten.

Es fällt auf, dass CDU, Grüne und SPD im Haustürwahlkampf vor allem auf Masse setzen und die Gespräche jeweils sehr kurz halten. Der Schwerpunkt liegt auf: Vorstellung, an die Wahl erinnern, Flyer überreichen, ggf. kurz eine Frage beantworten. Die Begegnung an der Tür bleibt auf den Überraschungs-Effekt reduziert. Zwar gehe es ums Zuhören, nicht ums Zureden, so der nordrhein-westfälische Landeschef der SPD, Michael Groschek. Doch im Leitfaden der SPD heißt es: »Hausbesuche sind keine Gesprächstherapie und oft nach 60 Sekunden beendet.«

Das persönliche Gespräch ist erwiesenermaßen besonders wirksam, um Menschen zu mobilisieren. Auch die LINKE ist derzeit bundesweit an den Türen. Sie war schon vor dem Wahlkampf in den Vierteln und ist es jetzt wieder. Es wäre schräg, mit dem Anlass des Besuchs nicht offen umzugehen. Mehr noch, es lässt sich offensiv damit umgehen: »Na klar brauchen wir deine Stimme, wenn du auch findest, der Mindestlohn muss erhöht werden und für alle gelten.« Aus dem, was die Gesprächspartner berichten, lassen sich häufig genug gute Gründe für ein Kreuz bei der LINKEN finden.

Unentschlossene und Nichtwähler ermutigen

Ein Ziel ist, LINKE-Wähler_innen zu bestärken, Unentschlossene zu ermutigen und vor allem Nicht-Wähler_innen an die Urnen zu bringen. Das ist nicht bloß eine Frage der Stimmenmaximierung. Es geht darum, den ungerechten Verhältnissen ein Stück Demokratie abzutrotzen. Denn in einem sind sich jüngere Studien zum Wahlverhalten allesamt einig: Wahlbeteiligung offenbart ein deutliches soziales Gefälle, vor allem entlang von Einkommen und Bildung.

Anders gesagt: Wer arm ist, bleibt eher zu Hause. Das geht einher mit der zunehmenden räumlichen Trennung von Bezirken mit hoher und niedriger Wahlbeteiligung. Die gute Nachricht: In den Städten wählen junge Gebildete überdurchschnittlich links der Sozialdemokratie. Nur, das reicht nicht. Eine linke Partei, der es nicht gelingt, auch die Prekären, Abstiegsbedrohten und Abgehängten zu erreichen, kann einpacken.

Das bedeutet anzuerkennen, dass wir es an den Türen – nicht nur, aber auch – mit Leuten zu tun haben, die von »der Politik« zu Recht nichts erwarten. Die LINKE geht häufig in Viertel, in denen sich sonst niemand blicken lässt. Wir werden nur dann Beziehungen und Bezüge miteinander herstellen können, wenn wir uns auch einlassen – ob an der Tür, am Gartenzaun, vorm Jobcenter oder im Betrieb. Das kann die SPD schwer erkennen, weil sie diesen Gruppen nichts mehr anzubieten hat. Ihr flapsiger Hinweis zur Gesprächstherapie offenbart es.

Mein Interesse am Gegenüber zeigt sich aber auch daran, ob ich mir einen Moment Zeit nehme. Werden Menschen in die Lage versetzt, über ihre Erfahrungen zu sprechen, lässt sich der Bogen zu linker Politik glaubhaft aufspannen. Nur wenn die LINKE sich an der Tür erkennbar von den anderen Parteien unterscheidet, kann sie dem weit verbreiteten Ohnmachtsgefühl – »die da oben sind alle gleich, es ändert sich ja doch nichts« – etwas entgegen setzen. Sonst läuft sie Gefahr, einfach als »noch so ‘ne Partei« wahrgenommen zu werden. Deswegen dauert linker Haustürwahlkampf länger als 60 Sekunden.

Die Schwelle für einen Balanceakt

Das heißt keineswegs, wir müssten uns einig werden. Die Haustür ist nicht der Ort für Überredungskünste, sondern die Schwelle für einen Balanceakt: in kurzer Zeit das Interesse eines Unbekannten wecken und Gemeinsamkeiten ausloten. Sind keine vorhanden, kann man sich rasch verabschieden.

Stößt der Besuch aber auf Interesse, ist das persönliche Gespräch eine Chance, ein zartes Band zu knüpfen, auch und gerade für nach der Wahl. Der Kontakt an der Tür lässt sich mit einer zeitnahen Einladung – zum Erwerbslosenfrühstück, Feierabendstammtisch, Mieterbündnis oder zur Sozialberatung – verbinden. Das Gegenüber freundlich nach Email oder Telefonnummer zu fragen, erfordert etwas Mut. Zugleich unterstreicht es die Verbindlichkeit des Gesprächs.

Wahlen sind ein möglicher Anlass, systematisch mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Entscheidend – auch für die Zukunft der LINKEN – ist aber die zuweilen mühselige Aufbauarbeit jenseits davon. Angesichts bröckelnder sozialer Infrastruktur steht linke Politik mehr denn je vor der Herausforderung, die alltägliche Vereinzelung zu durchbrechen (»allein machen sie dich ein«), politisch vermeintlich Desinteressierte zu ermutigen (»wir brauchen dich«) und die gemeinsame Handlungsfähigkeit in den Vordergrund zu rücken (»zusammen lässt sich was ändern«). Nicht wenige LINKE-Aktive kennen Prekarität, Ausgrenzung oder Armut aus eigener Erfahrung. Diese Herausforderung lässt sich nicht reduzieren auf die Frage, wie viele Stimmen Haustürbesuche »bringen«.

Ein anderes Verständnis von Politik

Letztlich geht es auch um ein anderes Verständnis von Politik: Menschen als potentielle Mitstreiter*innen zu gewinnen, statt dass sie sich von der Gesellschaft zurückziehen. Und darum, die LINKE als aufsuchende Kraft sichtbarer zu machen, ihre Aktiven im Kontakt mit Leuten außerhalb der eigenen Filterblase zu schulen, im besten Fall erste gemeinsame Schritte zu gehen. Nicht selten braucht es mehrfaches Kontaktieren, bis jemand Vertrauen fasst und den Weg zu einem Treffen findet. Nach dem Gespräch an der Tür und einem persönlichen Anruf gilt es, Räume zu schaffen, in denen alle - alte Hasen wie neu Hinzugekommene - sich einbringen können, eine gemeinsame Sprache finden, linke Politik ausbuchstabieren. Dass die LINKE ein guter Ort dafür sein kann, zeigen Beispiele, wo das bereits gelingt. Um darauf aufzubauen, sind systematische Gespräche unentbehrlich.

Es geht um was am 24. September. Face-to-face kann den Unterschied ums Ganze machen. Und es geht um mehr als den 24. September. Trotz Twitter, Facebook und Snapchat: Wir müssen miteinander reden. Haustürwahlkampf ist erst der Anfang.

Anne Steckner ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet zurzeit im Bereich Strategie und Grundsatzfragen der Linkspartei.

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