Leiharbeit in Frankreich: Mehr Lohn gegen weniger Sicherheit

3,5 Prozent der französischen Erwerbstätigen sind Leiharbeiter / Wegen einer »Prekaritäts-Entschädigung« werden sie besser bezahlt als die Stammbelegschaft

  • Bernard Schmid
  • Lesedauer: 2 Min.

Arbeitsverhältnisse, bei denen Lohnabhängige durch den jeweiligen Arbeitgeber gewerbsmäßig an Fremdfirmen »verliehen« werden, heißen im Französischen travail temporaire (Zeitarbeit) oder travail intérimaire (vorläufige Arbeit).

Seit ihrer Einführung in Frankreich im Jahr 1972, versprechen sowohl die Sozialistische Partei als auch die Kommunisten, das Verbot der Leiharbeit. 1982 kam es, nachdem einige Monate zuvor eine Linksregierung unter François Mitterrand und Pierre Mauroy ins Amt gekommen war, zu einer Reform der Leiharbeit. Ihre Abschaffung unterblieb jedoch. Der gesetzliche Rahmen ist seitdem im Wesentlichen derselbe.

Bei den Arbeits- und die Vergütungsbedingungen gilt das Prinzip der generellen Gleichbehandlung mit den Stammbeschäftigten. Die Regel ist dabei wesentlich strenger als in Deutschland, wo etwa das Equal-Pay-Prinzip durch entgegen lautende Tarifverträge unterlaufen werden kann und - je nach Firmen- oder Flächentarif - erst nach neun oder 16 Monaten greift. Eine solche Abdingbarkeit besteht in Frankreich nicht. Das gilt auch für die Höchstüberlassungsdauer. In Deutschland beträgt diese 18 Monate, kann aber ebenfalls durch einen Tarifvertrag ausgehebelt werden. In Frankreich nicht. Hier darf die Überlassungsdauer achtzehn Monate betragen. Bei einem Arbeitsverhältnis auf ausländischem Boden oder Erfüllung eines »besonderen Exportauftrags« liegt sie bei 24 Monaten.

Arbeitgeber in Frankreich greifen nicht hauptsächlich auf Leiharbeitskräfte zurück um Kosten zu sparen. Denn das Equal-Pay-Prinzip kann theoretisch nicht umgangen werden. Arbeitnehmer erhalten eine »Prekaritäts-Entschädigung« in Höhe von zehn Prozent des Gesamtlohns beim Auslaufen des Vertrags. Ferner ist es dem Arbeitgeber grundsätzlich verboten, im Fall eines Arbeitskampfes Leiharbeitskräfte als Streikbrecher einzusetzen.

Das Interesse des Arbeitgebers liegt daher vor allem darin, dass Leiharbeitskräfte über keine gesicherte berufliche Perspektive verfügen und deswegen seltener aufmucken. In der Praxis kommt es immer wieder zu »Missbräuchen«, die in einer Reihe von Fällen auch gerichtlich sanktioniert wurden. Frankreich gilt als »Vizeweltmeister«, was den Umfang der Leiharbeitsunternehmen betrifft. Ende 2016 betrug die Zahl der Leiharbeitskräfte zwischen 700 000 und 750 000 und lag bei etwa 3,5 Prozent der Erwerbstätigen. Die wichtigsten betroffenen Sektoren sind die Automobilbranche, Transportfirmen, der Bausektor sowie - im Bereich des öffentlichen Dienstes - das Krankenhauswesen.

In Krisenzeiten werden vor allem Leiharbeitskräfte als »Puffer« benutzt, um das Stammpersonal vor Entlassungen zu schützen, indem den Erstgenannten zuerst gekündigt wird. So ging in der letzten akuten Rezessionsphase die Gesamtzahl der Leiharbeitskräfte zwischen Anfang 2008 und März 2009 um 35 Prozent zurück.

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