nd-aktuell.de / 15.09.2017 / Kultur / Seite 15

Ein Fußballmärchen

NDR-Sportclub-Story »Testosterongesteuert« über Transmenschen

Jan Freitag

Packer hat einen robusten, irgendwie maskulinen Klang. Deutsch ausgesprochen, hört sich das Wort schließlich nach harter Arbeit an. Und auch englisch intoniert schwitzt es eine Riesenladung Testosteron aus. Kein Wunder - Packer steht für Pimmel. Allerdings nicht den echten, sondern aus Gummi. Womit die Sache mit der Männlichkeit auf der Kippe steht. Als sich Fabian einen Packer in die Hose stopft, um weniger weiblich zu wirkten, steht in seinem Pass noch Cindy, die sie, also er, nicht mehr sein will. Denn Cindy alias Fabian ist ein Transmensch, falsches Geschlecht im falschen Körper, 2017 kein Problem mehr. Eigentlich. Es sei denn, es geht um den Fußball, dessen Topligen entgegen allen Statistiken offiziell schwulenfrei sind, während es bei den Frauen dem Vorurteil nach von Lesben nur so wimmelt.

In dieser wirklichkeitswidrigen Welt spielt die bemerkenswerte Langzeitreportage »Testosterongesteuert« und zeigt im deutschlandtypisch überinformativen Untertitel gleich mal, worum es geht: »Wenn aus Fußballerinnen Männer werden«. Das ist hierzulande häufiger der Fall als gedacht. Rund 40 Fälle zählt der DFB pro Jahr. Und zwei davon haben Anne Strauch und Ina Kast über 14 Monate begleitet: Cindy und Mariko. Sie spielen beim Hamburger Stadteilverein Grün-Weiß Eimsbüttel. Tiefste Liga. Höchste Leidenschaft. Voller Einsatz. Auch, klar, unter Frauen. Als solche wird die eine vor 28, die andere vor 22 Jahren geboren. Nun aber ist der Zeitpunkt reif, dieses Missverständnis der Natur zu ändern und aus ihnen Fabian und Marino zu machen.

So sitzt ersterer nun also mitsamt seiner Freundin bei Marino und der seinen, um sich diese Gummipimmel mal genauer anzusehen, mit denen die Phase des Übergangs bis zur Geschlechtsumwandlung zumindest oberflächlich überbrückt werden soll. Es geht lustig zu, im Spießerparadies zweier Revolutionäre der Persönlichkeitsgestaltung, jedenfalls lustiger als bei den Behördengängen und Arztbesuchen, bei denen die Kamera ebenfalls dabei ist.

Was am meisten überrascht an den 45 Minuten dezent kommentierter Reportage: Alle, wirklich alle Beteiligten unterstützen die Reise ins neue Geschlecht. Die Schüler des Grundschullehrers Marino, die Kollegen des Schumachers Fabian, die Mütter und Freundinnen der beiden. Außerdem natürlich: die Mitspielerinnen bei Grün-Weiß, die dank des regelmäßig injiziert Testosteron, dessen Molekularstruktur einer der zwei sogar auf den Arm tätowiert hat, gerade zwei ihrer Besten im Team Richtung Herrenabteilung verlieren. Was beim Zusehen manchmal fast zu Tränen rührt, ist allerdings zugleich das Problem des Films: Gegenwind gibt es nicht, nur Zuspruch.

Die Realität sieht da gewiss anders aus. Auch für Fabian und Marino - so sehr man sich instinktiv über die positive Resonanz im gesamten Umfeld freut. Daran jedoch ist auch die Kamera schuld. Man nennt das Heisenberg’sche Unschärferelation. Schon die Beobachtung eines Ereignisses verändert ihren Ablauf. Hier sorgt sie für ein Happening der Heiterkeit, das Geschlechterwechsel wohl nur selten sind.

NDR, 17. September, 23.35 Uhr