Obdachlosigkeit hautnah

Beim »sleep out berlin« schlafen Prominente und engagierte Bürger auf der Straße

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

In Berlin werden immer mehr Menschen wohnungs- oder gar obdachlos. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) geht von über 17 000 wohnungslosen sowie schätzungsweise 5000 bis 10 000 obdachlosen Menschen aus. Offizielle Statistiken gibt es dazu nicht. Diakonie-Chefin Barbara Eschen sprach am Donnerstag sogar von bis 20 000 Wohnungslosen, für die eine individuelle Lösung gefunden werden müsse. Demgegenüber stehen jedoch ganzjährig nur 150 Plätze in Notunterkünften zur Verfügung. Die Wohnungslosenhilfe mob e.V. betreibt eine davon. Mit nur 31 Plätzen kann sie den gestiegenen Bedarf jedoch bei weitem nicht decken: »Immer mehr Menschen fallen aus der Mittelschicht raus. Wir haben immer mehr Rentner, Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder sogar sozialversicherungspflichtig Angestellte und auch immer mehr Familien, die obdachlos sind«, berichtet Mara Fischer, Vorstandsvorsitzende von mob e.V. und Leiterin der Notübernachtung des Vereins in Prenzlauer Berg im Gespräch mit »nd«.

Um auf die Not dieser Menschen aufmerksam zu machen, hat mob e.V. ein sogenanntes »sleep out« organisiert. An diesem Freitag können Interessierte vor der Notunterkunft auf der Straße übernachten, um am eigenen Leib die Situation wohnungsloser Menschen erleben zu können. »Ziel ist es, Aufmerksamkeit zu erregen und ein Bewusstsein für die Umstände zu schaffen. Und natürlich Spenden für die Notunterkunft zu sammeln«, sagt Mara Fischer. Da ihrem Verein nicht genügend Geld für Sozialarbeiter für die Notübernachtung zur Verfügung stehe, werde die ganze Arbeit von Ehrenamtlichen geleistet. Das könne so nicht weitergehen. Gerade auch weil immer mehr geflüchtete Menschen in Notübernachtungen unterkommen müssen, sieht sie den Senat in der Pflicht: »Die Verantwortung ist noch größer geworden, da brauchen wir mehr Unterstützung aus der Politik. Das darf nicht alles auf dem Rücken der Zivilgesellschaft ausgetragen werden«, meint Fischer.

Dieser Meinung ist auch Lars Düsterhöft, der für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. »Es gibt unglaublich viele Menschen, die abends nicht wissen, wo sie hingehen sollen, um einen ruhigen Schlafplatz zu haben.« Um seiner Kritik Ausdruck zu verleihen, will die Nacht zum Samstag gemeinsam mit anderen Prominenten und Politikern auf der Straße vor der Notübernachtung des mob e.V. verbringen. Das größte Problem sei der Platzmangel in den Unterkünften. Eigentlich solle das System so funktionieren, dass Menschen aus Notübernachtungen mittelfristig in einer regulären Wohnungslosenunterkunft unterkommen. »Das ist zurzeit jedoch mitnichten der Fall, weil auch diese voll sind. Da kommt der Staat seiner Verpflichtung nicht hinterher«, sagt Düsterhoft. In vielen Fällen sei es sogar umgekehrt, berichtet Fischer, und die Wohnungslosenunterkünfte würden bei den Notübernachtungen nach Plätzen anfragen. Düsterhoft fordert nicht nur »eine Kapazitätserweiterung, sondern man muss auch dafür sorgen, dass dort gute Arbeit gemacht werden kann. Und dafür brauchen wir deutlich mehr Sozialarbeiter in diesen Einrichtungen.«

Nicht nur in Berlin steigt die Zahl der Wohnungslosen. 2014 waren laut Bundessozialministerium rund 335 000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Das ist ein Anstieg um 18 Prozent seit dem Jahr 2012. Die BAG W rechnet bis zum Jahr 2018 sogar mit einer Steigerung um 60 Prozent auf 536 000 Wohnungslose.

Neben der Notwendigkeit, diese Menschen unterzubringen, sieht Düsterhoft auch im Bereich der Prävention konkreten Handlungsbedarf. Es gehe auch darum, die Menschen davor zu bewahren, ihre Wohnung überhaupt erst zu verlieren. »Viele Menschen sind nicht ohne Grund obdachlos geworden. Zu verhindern, dass sie obdachlos werden, darum muss sich gekümmert werden«, ist er überzeugt.

Von den Gründen, die zu Obdachlosigkeit führen, kann sich am Freitag jeder Interessierte selbst ein Bild machen. Neben einer Diskussionsrunde zum Thema, an der unter anderem Gregor Gysi (LINKE) teilnehmen soll, wird es beim »sleep out« auch Infostände geben, bei denen die Betroffenen selbst zu Wort kommen.

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