nd-aktuell.de / 18.09.2017 / Sonntagsschuss / Seite 4

Dit is Berlin

In Hannover werden die Ultras ausgepfiffen, in Berlin werden Bremer Fans von der Polizei attackiert

Christoph Ruf

Am Freitag haben die Ultras von Hannover 96 etwas getan, das man als Ultra offenbar nicht darf: Sie haben es unterlassen, die eigene Mannschaft zu unterstützen und haben stattdessen auf Protestplakaten kundgetan, dass es ihrer Meinung nach gerade (noch) Wichtigeres gibt. Nämlich aufzupassen, dass ihr Verein im 121. Jahr seines Bestehens nicht aufhört, Verein zu sein. Was nichts anderes heißt, als dass die Mitglieder neben dem Recht, Mitgliedsbeiträge zu bezahlen, auch noch in winzigen Teilbereichen des Millionengeschäftes mitentscheiden dürfen.

Es geht beim Kampf für die 50+1-Regel, die die Alleinherrschaft von Investoren verhindern soll, ja nicht um basisdemokratische Ideen - alle maßgeblichen Entscheidungen wie Transfers werden im modernen Fußball sowieso von den Vorständen und Managern getroffen. Es geht nur darum, ein Mindestmaß an Kontrolle sicherzustellen. Einen Aufsichtsrat wählen zu können, der - wenn er nicht ähnlich dilettantisch wie in der Autoindustrie arbeitet - dann ja vielleicht auch mal mitbekommt, wenn jemand seine Privatinteressen über die des Vereines stellt. Was im Millionenbusiness Fußball im Übrigen öfter vorkommen dürfte als in der Politik. Und es geht darum zu verhindern, dass ein Verein ein Schicksal nimmt wie so viele Klubs in England, Italien, Österreich und anderswo, bei denen die Fans manchmal gar nicht mehr wissen, welcher Investor gerade wieder ihren Verein verkauft hat, nachdem er ihn zuvor zugrunde gerichtet hat.

Die meisten kritischen Fans - ob sie nun Ultras sind oder nicht - wissen nun allerdings, dass sie bei ihrem Kampf gegen die schleichende Konzernwerdung von eingetragenen Vereinen die Mehrheit im Stadion gegen sich haben. Mit dem Versprechen, nur ohne e.V. könne man den sportlichen Erfolg vergrößern, lassen sich die meisten Fans und Mitglieder schnell einfangen. Und wer bei einem 2:0 gegen den Erzrivalen aus Hamburg die Feierlaune trüben will, wird mit »Ultras-raus!«-Rufen als Partykiller gebrandmarkt. Wie in der schönen alten Rammstein-Textzeile: »Und wer nicht tanzen will am Schluss, weiß noch nicht, dass er tanzen muss.« Auch in der Nachbereitung der Partie wurde es nicht wesentlich intelligenter. So wurde den Hannoveraner Protestierern vorgeworfen, wer etwas ändern wolle, könne ja Mitglied werden. Doch genau das stimmt nicht: Im Juli hat Hannover 96 mal eben 119 Mitgliedsanträge abgelehnt. »Im Interesse des Vereins«, wie der Präsident erklärte. Die Anträge stammten von Fans, die im Verein dagegen arbeiten wollten, dass Martin Kind, also ebenjener Präsident, künftig mehr oder weniger unkontrolliert die Geschicke bestimmt.

Der gleiche Kind, der im Verein entscheiden lässt, welches Mitglied »im Interesse des Vereins« aufgenommen werden darf, gab sich dann am Freitag allerdings als Anhänger des Demokratieprinzips: »Wir sollten uns einfach an den Mehrheiten orientieren, das ist immer gut.«

Bleiben wir also beim Thema Demokratie. Wo wir nun schon das Mehrheitsprinzip in Theorie und Praxis kennengelernt haben, geht es beim Blick auf das Wochenende zuvor um das Thema Bürgerrechte und Transparenz. Beim Auswärtsspiel von Werder Bremen in Berlin wurden nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten Fußballfans mehr als eine halbe Stunde lang immer wieder von Polizisten attackiert, mit Faustschlägen, Tritten und Kopfstößen. Zudem wurden die Bremer Ultras mit Ausdrücken wie »Fotze« oder »Hurensöhne« eingedeckt, politisch nicht eben neutrale Begriffe. Auch Stuttgarter und Bayern-Fans berichteten zuletzt von Gewaltexzessen der Berliner Polizei. Auch sie hatten den Eindruck, es mit »Hooligans in Uniform« (ein VfB-Fan) zu tun zu haben. Nun sind die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE), die in Berlin auf Fans losgelassen werden, seit eh und je berüchtigt, und gäbe es in dieser Stadt den Willen, Politik zu machen, hätte sich daran vielleicht in den letzten Jahrzehnten mal etwas ändern können. Doch von einer Stadtführung, die von der halbwegs menschenwürdigen Versorgung von Flüchtlingen bis hin zum Ausstellen von Ausweispapieren nichts hinzubekommen scheint, kann man auch nicht erwarten, dass die Polizei auch dort demokratisiert wird, wo es wirklich darauf ankommt. Wie, so berichtet zumindest das Bremer Fanprojekt, sagte doch ein Mitglied der BFE-Einheit so schön: »Dit is Berlin, du linke Fotze.« Recht hat er.