Als die Kinder brüllten

Ihre Unterschrift unter einen DDR-Aufruf nennt Ex-Stasibeauftragte Poppe jetzt einen Fehler

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Als einen »Fehler« bezeichnet die gerade ausgeschiedene Stasi-Landesbeauftragte Ulrike Poppe, dass sie 1989 in der DDR den Aufruf »Für unser Land« unterzeichnet habe. Am späten Dienstagnachmittag wurden im Landtag die Amtsgeschäfte auf Poppes Nachfolgerin Maria Nooke übertragen.

Auf ihrer letzten Pressekonferenz als Behördenleiterin hielt Ulrike Poppe am Montag zwar hauptsächlich Rückblick auf ihre Arbeit als brandenburgische Aufarbeitungsbeauftragte. Sie war aber auch für Fragen zu der Zeit davor offen. Bezogen auf den Aufruf »Für unser Land«, der unter anderen von der Schriftstellerin Christa Wolf initiiert worden war, sagte Poppe, ein Freund, dem sie vertraut habe, habe ihr damals den Text am Telefon vorgelesen, derweil die Kinder brüllten. So habe sie nur Bruchstücke mitbekommen, einzelne Sätze seien ihr aber damals auch ganz vernünftig erschienen.

Nach rund sieben Jahren im Amt geht sie mit knapp 65 nun in den Ruhestand. Ulrike Poppe war eine prominente Bürgerrechtlerin, die nach der Wende 20 Jahre in der Evangelischen Akademie gearbeitet hatte. Dort habe sie das »Rüstzeug« gewonnen, dass ihr in der Leitung der Behörde von Nutzen gewesen sei.

Ausdrücklich bestritt Poppe, dass die politische Vereinigung »Demokratie Jetzt«, der sie zur Wendezeit an führender Position angehört hatte, ein Fortbestehen der DDR gewollt habe. »Im Gegenteil, wir waren die ersten, die das Ziel einer Wiedervereinigung formuliert hatten - und zwar am 11. September 1989.« Und dies durchaus im Unterschied zur neu gebildeten Sozialdemokratischen Partei der DDR, die in ihrem Gründungsaufruf »die Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge schuldhafter Vergangenheit« vorgenommen hatte. Mit den Sozialdemokraten habe sie sich darüber gestritten, sagte Ulrike Poppe. Voraussetzung für eine Vereinigung der deutschen Staaten sei ihr allerdings eine »stabile, rechtstaatliche DDR« gewesen, die »auf Augenhöhe« mit der Bundesrepublik hätte verhandeln können. Dazu sei es leider nicht gekommen. Bei der Wiedervereinigung sei es »um das Wie, nicht um das Ob« gegangen. In ihrer Arbeit als Stasi-Landesbeauftragte habe sie ihr Ziel umsetzen können, die Lage der Opfer von einst zu verbessern, sagte sie. Dabei verwies sie auf den »Härtefallfonds«, aus dem Sonderhilfen für in Not geratene ehedem politisch Verfolge gezahlt werden könnten. Erneut sprach sich Poppe dafür aus, die auf 2019 begrenzte Frist für Rehabilitierungsanträge völlig aufzuheben. Es gebe Menschen, die erst angesichts ihrer geringen Renten auf den Gedanken kommen, dass sie als anerkannte Opfer eine finanzielle Aufbesserung erreichen könnten. Rehabilitierte, die berufliche Nachteile hinzunehmen hatten, könnten mit Rentenzusatzpunkte rechnen.

Auf Nachfrage räumte Poppe ein, dass geringe Renten weniger die Schuld der DDR seien, sondern vielmehr auf die Massenarbeitslosigkeit nach 1990 und auf die Art und Weise der Rentenberechnung heute zurückzuführen. Sie bestand aber darauf, dass der Anteil einst Verfolgter unter den Bedürftigen messbar höher sei.

Sie dankte »der Politik« für die Unterstützung einer Behörde, die mit sieben Mitarbeitern begonnen hatte und inzwischen über 27 Mitarbeiter verfüge. Gebildet wurde die Behörde in der ersten Legislaturperiode der rot-roten Koalition. Das war auch die Periode, die mit einer Enquetekommission zur Aufarbeitung der Nachwendejahre für viel Aufregung sorgte, und in der eine vom Versöhnungsgedanken geprägten Landtagserklärung von 1994 im Jahr 2014 durch eine ersetzt wurde, in der Wünsche nach Abrechnung durchschimmerten.

Bei der Landtagswahl 2014 sank dann die Wahlbeteiligung von 67 auf 47 Prozent, und die AfD schaffte es mit zwölf Prozent ins Parlament. Ob dies mit der Art der DDR-Aufarbeitung zusammenhängen könnte? Sie könne sich das nicht vorstellen, sagte Poppe nach längerem Nachdenken. Sicher, sie nehme auch Unzufriedenheit wahr, die es »aus verschiedenen Gründen« gebe, und es gebe Opfergruppen, die sich vom Staat nicht gerecht behandelt fühlen. Ihr gegenüber habe ein CDU-Wähler bekundet, nun die AfD ankreuzen zu wollen. »Dabei ist nicht klar, wie die AfD zu diesen Fragen steht.«

Der Beratungsbedarf sei »leicht rückläufig«, schätzte Poppe für ihre Behörde ein. Um so mehr widme sich die Behörde der Aufklärung von Schülern und Lehrer, damit sie »verstehen, was Diktatur ist«. Jetzt könne man sich auf Aktenrecherche konzentrieren, sofern sie eine »Verfolgungsgeschichte belegen«, stehe Gerichten als Ratgeber zur Seite, diene als Gesprächspartner der Politik.

Rund 75 000 Brandenburger verbrachten zumindest eine bestimmte Zeit in einem Kinderheim, etwa 4000 von ihnen haben sich beraten lassen, sagte Poppe. Ihnen winkte aus einem Heimkinderfonds eine Entschädigung, wenn sie angeben, Misshandlungen erlitten zu haben. Sie freue sich, dass nun auch einstigen Insassen psychiatrischer Einrichtungen und die der Behindertenhilfe einen ähnlichen Weg eröffnet bekommen. Wenn einstige Insassen des Jugendwerkhofs Torgau als Verfolgte anerkannt seien, so müsse das in nachgewiesenen Fällen auch für den Jugendwerkhof Bad Freienwalde sowie die damaligen Durchgangsheime gelten.

Mit Genugtuung stellte Poppe fest, dass es nun einheitliche Kriterien für gesundheitliche Folgeschäden aus erlittenem Unrecht gebe. Früher seien damit Gutachter befasst gewesen, die nicht ausreichend qualifiziert waren. Weil sich im Nachhinein herausgestellt habe, dass gutachtende Ärzte früher mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, habe ein »Misstrauen bestanden«.

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