nd-aktuell.de / 25.09.2017 / Politik

Linkspartei holt Direktmandat in Sachsen

Pellmann gewinnt in Leipzig / Pau, Lötzsch, Gysi und Liebich verteidigen Wahlkreise in Berlin / Meiser nur knapp in Kreuzberg geschlagen / Ramelow: AfD-Ergebnis im Osten eher aus Protest

Berlin. Erstmals hat die Linkspartei bei der Bundestagswahl ein Direktmandat in Sachsen geholt. Im Wahlkreis Leipzig II siegte Sören Pellmann vor Thomas Feist von der CDU. Direktmandate waren im Freistaat bislang eine feste Domäne der Union - seit 1990 hatte sie von insgesamt 112 zu vergebenden Direktmandaten hier 101 gewinnen können. Sören Pellmann sitzt seit 2009 im Leipziger Stadtrat.

In Berlin konnte die Linkspartei vier Direktmandate verteidigen. Gesine Lötzsch gewann in Berlin-Lichtenberg 34,7 Prozent der Stimmen. Auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau zieht wieder direkt in den Bundestag ein - sie holte 34,2 Prozent der Erststimmen des Wahlkreises Marzahn-Hellersdorf. Deutlich vorn lag in seinem Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick auch wieder der frühere Linksfraktionschef Gregor Gysi, er erhielt am Sonntag 39,9 Prozent der Stimmen. Gysi gewann den Wahlkreis bereits 2005, 2009 und 2013 direkt. In Berlin-Pankow konnte Stefan Liebich sein Direktmandat verteidigen. Er setzte er sich mit 28,8 Prozent der Erststimmen deutlich durch. Besonderheit - Pankow war gegen 3.30 Uhr der letzte ausgezählte Wahlkreis in ganz Deutschland.

Im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg war es knapp - und am Ende unterlag der Linkspartei-Kandidat Pascal Meiser bei den Erststimmen mit 24,9 Prozent knapp der grünen Direktkandidatin Canan Bayram mit 26,3 Prozent. Der Wahlkreis ist legendär, Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele hatte hier in allen vier Wahlen seit 2002 das bislang bundesweit einzige Direktmandat seiner Partei gewonnen, war diesmal aber aus Altersgründen nicht mehr angetreten. Auf Platz drei kam mit 16,9 Prozent Cansel Kiziltepe von der SPD.

Liebich sagt nach der Wahl, die Linkspartei müsse sich nun neu positionieren. Mit den großen Erfolgen der AfD habe man selbst die Möglichkeit verloren, als Protestpartei aufzutreten. »Die Kunst wird es sein, den Protest der Menschen nicht nur in den Bundestag zu tragen wie die AfD, sondern auch Vorschläge zu machen und durchzusetzen«, so Liebig.

Zudem erhofft sich Liebich durch die neue Rolle der Bundes-SPD in der Opposition eine stärkere Profilierung der beiden größten Parteien. »Wenn die SPD all ihren Mut zusammennimmt und wieder ihre eigene Politik macht, wird der AfD das Argument genommen, es gebe ein Establishment in der Politik, das nur eine Meinung vertritt«.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hoffte derweil darauf, dass es trotz der schwierigen Konstellation nach der Bundestagswahl schnell zur Bildung einer neuen Bundesregierung kommt. »Ich hoffe, dass es keine monatelange Hängepartie gibt. Das würde der AfD in die Hände spielen«, sagte der Linksparteipolitiker. Ramelow sieht nun besonders hohen Handlungsbedarf in Ostdeutschland. Das AfD-Ergebnis zeige, dass sich viele Menschen in Ostdeutschland schlecht behandelt, auch emotional deklassiert fühlten - bei Renten, Löhnen und durch unsichere Arbeitsverhältnisse. »27 Jahre nach der Wiedervereinigung hätte das gelöst werden müssen.« Nach Meinung von Ramelow ist das AfD-Wahlergebnis eher Ausdruck von Protest als einer politischen Überzeugung. Er plädierte erneut für eine Neuausrichtung der Ost-Aufbaupolitik. Die neuen Länder sollten künftig Chefsache sein.

Der Leipziger Politikwissenschaftler Hendrik Träger sagte mit Blick auf das Abschneiden der AfD im Osten, sie habe in den neuen Ländern einen Nerv getroffen. »Im Osten herrscht teilweise die Wahrnehmung, dass für die Flüchtlinge alles getan würde, aber die Einheimischen vernachlässigt würden«, sagte Träger. Zugespitzt laute die Frage dazu bei vielen: »Warum die und nicht wir?«. Zwar fehle diesem verbreiteten Empfinden die reale Grundlage. »Aber Politik hat eben viel mit der subjektiven Wahrnehmung zu tun«, sagte der Leipziger Politikwissenschaftler.

Bei den AfD-Wählern spiele Ideologie eine nachgeordnete Rolle. »An erster Stelle steht die Unzufriedenheit mit den Regierungsparteien - mit «denen in Berlin».« Auch die Erwartungen an die AfD an konkreter Arbeit als Oppositionspartei im Bundestag seien eher gering. »Es geht in erster Linie um Protest und Unmutsäußerung.« Eine neue Diskussion über den Zustand der Einheit werde aber der AfD-Erfolg nicht auslösen. »Die AfD hat in ihrem Wahlprogramm zum Osten keine Position und versteht sich auch nicht als Ostpartei«, sagt der Wissenschaftler der Universität Leipzig.

Laut Hochrechnung von Infratest stimmten in Ostdeutschland 21,6 Prozent für die AfD. Die Linkspartei verlor hier deutlich und ist mit 16,2 Prozent auf Platz drei gerutscht. Noch vor vier Jahren hatte die AfD im Osten 5,9, die Linkspartei lag bei 22,7 Prozent. Die CDU wurde mit rund 27 Prozent stärkste Kraft im Osten, die SPD kam auf knapp 15 Prozent. Agenturen/nd