Land des Supergau-Gaues

Gedanken zum medial ertönenden Jagdgesang

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ein Gau ist, wissen Jüngere nicht mehr. Dass die Bundesländer mal nationalpatriotisch so hießen, ist zwar wenig erstrebenswerte, aber offenkundig wiederholbare Vergangenheit. Ist Land, in dem es Gaue gibt, also Gauland? Nein, denn das ist ein in der politischen Öffentlichkeit ständig bemerkbares Lebewesen von relativ hohem Alter und bis vor Kurzem erkennbarer hoher Intelligenz. Kameras und Mikrofone reagieren inzwischen allergisch auf das mal ingrimmig, mal indigniert oder gar konsterniert blickende Etwas. Als es noch im Sächsischen aufwuchs, im Hessischen an Statur gewann, im Brandenburgischen Fuß fasste und über sich hinauswuchs, wurde es zum Phänomen: Von der Gaulandpartie zur Gaulandpartei gekommen, zieht es neben Gauwasserfällen eine Gauluftnummer nach der anderen ab.

Tja, da wundern sich manche. Dabei kennen wir das doch: Wenn der politisch, wirtschaftlich oder künstlerisch einigermaßen talentierte Sachse westwärts wandert, dann macht er dort ein Fass auf. Die Büchse der Pandora ist nichts dagegen. Als fürchterlich gepeinigter Flüchtling frisch geoutet, erobert er ein Tableau. Frisch integriert, spottet er jeder Integrität. Die Gnade des rechtzeitigen Seitenwechsels adelte bereits Großkünstler wie Georg Baselitz oder Gerhard Richter unermesslich. Nur der so gewendete Sachse gilt etwas. Der Zuhausegebliebene ist total abgehängt.

Vom Chemnitzer Kaßberg kamen immer wieder Künstler in die Szene. Aber nicht auf den Parnass. Dort hisste nur dieser Emporgekommene die Fahne der nach dem deutschen Reinheitsgebot saubersten Christdemokraten. Und ritt auf dem frisch gesattelten Pressegaul der »Frankfurter Allgemeinen« 1991 gen Potsdam, die dortigen Eingeborenen printmedial zurückzuführen ins Reich seiner Träume.

Das Gerede vom Zurückholen unseres Landes ist nur so verstehbar. Wir alle sind unzufrieden. Indem wir uns formieren, kommt er - und beansprucht die Spitze. Er persönlich muss einen Landstrich erobern. Mindestens den, in dem sein Vater dem feudalen Besitz der Feste Königstein vorstand. Er will jagen. Das fand seinerzeit zwar um Moritzburg statt. Aber Politik jagt kein Wild. Von Wahlerfolg zu Wahlerfolg jagen, darum geht es. Die Kanzlerin aus dem Amt jagen. Damals hiergeblieben. Nie dort wirklich angekommen. Muss er meinen. König Kurt gab in seiner Residenz Dresden mit der Frauenkirche vor, was die Residenz Potsdam um ihre Militärkirche herum als »Mitteschön« deklariert. Rechts davon ist noch viel Platz. Dafür soll der lustvoll »Garten« genannte Aufmarschplatz von einem Altlasthotel gereinigt werden.

Nun reden sie allerorten über das Gegaue. Das »Nazi«-Gedöns hallt uns in den Ohren. Aber so billig kommen wir nicht davon: Ein paar Stichworte pieken schon. Selbst wenn sie einen gigantischen Niveauabsturz gegenüber früherer gauländischer Prosa markieren. Sein Tross von jüngeren Dumpfbacken, gebacken im diffusen Mischmilieu von Unbedachtem und Blindwütigem, kann da nicht mithalten. Und die Gegenseite? Immer wieder dieselben Deutungsmuster. Vermeintliche Ostmentalität erklärende, neunmalkluge Weisheiten entpuppen sich sukzessive als einfältige Dummheiten. Dass der so geringe Ausländeranteil an der Bevölkerung dort jeglichen Protest gegenstandslos mache - der Vorwurf zielt ins Leere. Wer selbst nicht integriert ist, ist nicht bereit, anderen zuzubilligen, integriert zu werden.

Freigeräumt von ganzen vier Jahrzehnten eigener Geschichte, lebt es sich recht haltlos. Wenn ein selbstbestimmtes Leben wie Abfall entsorgt wird, was dann? Was bleibt? Die letzte gesamtdeutsche Gemeinsamkeit war vom Nazibazillus verseucht. Dieser wird virulent. Was denn sonst. Muster zivilisierten Verhaltens und respektvollen Umgangs miteinander werden in der digitalen Welt radikal entsorgt. Die Bildungsmisere fängt da an, wo die politische Bildung sich im Gestrüpp altbackener Phraseologie verheddert. Wo Kultur kein Staatsziel ist, findet sie am Ende nicht mehr statt.

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