Sie macht die Typen spitz

Wem gehört die Sprache? Und muss man das »Zigeunerschnitzel« umbenennen? Von Peter Porsch

  • Lesedauer: 7 Min.

Vor 400 Jahren, anno domini 1617, wurde die »Fruchtbringende Gesellschaft - Palmenorden« gegründet. Das erwachende Nationalbewusstsein der Deutschen wollte sich in einer vorbildlichen und vor allem einheitlichen Sprache bestätigt fühlen. Die damalige bildungstragende Schicht tat sich in Sprachgesellschaften zusammen. Die Tendenz zur Vereinheitlichung der Sprache, die als gemeinsamer Besitz der Bevölkerung gelten sollte, wurde immer wieder bejubelt. Erreicht wurde eine solche Vereinheitlichung jedoch nie. Regionale und soziale Eigenheiten, Fachsprachen, Jargons und Moden sind der deutschen Bevölkerung nicht auszutreiben. Wem gehört die Sprache also wirklich?

Gefordert wird heute sogenannte political correctness. Einfach politisch korrekt könnte es aber auch sein. Jedenfalls liegt darin ein Grund für Redaktionen, vertrauliche Sprachregelungen auszugeben. Gehört jenen die Sprache, die wollen, dass alle Möglichkeiten der Geschlechtlichkeit, wie sie die Wirklichkeit kennt, zu berücksichtigen sind, oder gehört sie den Bewahrern, die meinen, das große I, Sternchen * und Unterstriche _ haben in der geschriebenen Sprache nichts zu suchen? Man könne diesen Unsinn schließlich ja auch nicht sprechen. Aber wieso gibt es dann den Apostroph, die Anführungszeichen, den Binde- und Gedankenstrich? Man spricht sie ebenfalls nicht authentisch mit.

Orthografie ist gesetzte Norm, die sich vom »natürlichen« Verlauf des Sprechens unterscheidet. Gehört die Sprache jenen Pedanten, die meinen, der althergebrachte »Schraubenzieher« müsste dem »Schraubendreher« weichen? Gehört sie den Angebern, denen ein »support« lieber ist als einfache Hilfe? In der österreichischen Tageszeitung »Kleine Zeitung« schreibt ein Leser: »Ein Tisch ist ein Tisch und kein Sessel, eine Frau ist eine Frau und kein Mann und eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist eine Partnerschaft und keine Ehe. Für Verschiedenes gibt es verschiedene Bezeichnungen. Wo ist das Problem?«

Geht eine Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern gar nicht, weil es die Sprache nicht zulässt? Gehört die Sprache also sich selbst, schreibt sie uns vor, was es geben darf und was nicht? Offensichtlich nicht, denn Bundestag und Bundesrat haben anders beschlossen: »Ehe für alle«. Sprache schreibt vor und gibt zugleich die Möglichkeit, alles Denkbare auch aussprechbar zu machen.

Auf Facebook stoße ich im Juli 2017 auf den Eintrag einer Frau, die behauptet: »Unsere Sprache ist nicht komplett falsch, aber zu - sagen wir mal - neunzig Prozent.« Wir seien dem Fluch ausgesetzt, eine »Herrschaftssprache« sprechen zu müssen. »Für Menschen in einer befreiten Gesellschaft ohne Rassismus, Klassismus, Sexismus usw. wird es sehr schwer sein, unsere heutige Sprache zu verstehen.« Kann schon sein, sagt der Linguist vorsichtig. Wer weiß denn heute zum Beispiel noch, was mittelhochdeutsch unter »triuwe«, »staete« oder »milte« verstanden wurde. Seinerzeit waren diese Dinge wichtig, gehörten zu ritterlichen Tugenden. Sprache verändert sich ganz offensichtlich. Das betrifft vor allem den Wortschatz, das dynamischste Teilsystem der Sprache. Doch auch die Grammatik bleibt nicht unberührt. Bekanntlich sollten wir doch »dem Dativ« retten. Aber wie und wer darf dabei mittun?

Bei der Grammatik ist es vielleicht einfach. Jacob Grimm hat einmal darauf hingewiesen, dass der »Sprachgeist« jene Wunden heilt, die wir der Sprache im Gebrauch zufügen. Man nennt das, was Grimm romantisch meinte, heute »Systemausgleich«. In einer Sprache kann zum Beispiel geregelt sein, den Wortakzent immer auf der Stammsilbe zu belassen. Dann werden sich die Nebensilben abschwächen, angleichen und nicht mehr unterscheidbar sein. Das hat Folgen. Nebensilben, die normalerweise die grammatischen Angaben enthalten, können ihre Funktion nicht mehr ausüben. Es wird notwendig, dies auszugleichen. Im Englischen ist das mit den Substantivkasus weitgehend so gekommen. Man könnte Subjekte von Objekten nicht mehr unterscheiden. Aber eine feste Wortstellung, Subjekt, Prädikat, Objekt, rettet, übernimmt die Funktion der Kasus. Im Deutschen brauchen wir das noch nicht. Die Sprache scheint hier sich selbst zu gehören und sie kann sich deshalb selbst helfen. Freilich sind es doch die Sprecherinnen und Sprecher, die der Sprache die Wunden schlagen und sich danach selbst helfen, und es hilft ihnen dabei die Sprache mit ihren Möglichkeiten.

Anders ist es offensichtlich beim Wortschatz. Bei ihm finden sich Interessen nicht zusammen, sondern sie stehen sich entgegen. Vielerlei Absichten wollen im Wort sozusagen Fleisch werden. Der Logik folgt die Sprache dabei kaum, sonst hätten wir keinen »Busbahnhof« und auch keine »Fahrradautobahnen«. Objektiver Realität und wissenschaftlicher Ordnung folgt sie auch nicht immer, wo kämen sonst der »Walfisch«, der nicht wirklich ein Fisch ist, oder »Morgenstern« und »Abendstern« her, die beide die Venus sind. Sprache lebt gerade im Wortschatz von Bildern und Vergleichen, von Alltagsbeobachtungen und -klassifizierungen. Das lässt sie bei sich bleiben und verleiht ihr zugleich eine außerordentliche Dynamik, in der sich Veränderung und Verstehenssicherung treffen.

Wortbedeutungen erschöpfen sich aber deshalb auch nicht in einer Ansammlung der wesentlichen Merkmale einer Klasse von Gegenständen, die das Wort benennt (»Denotat«). Das ist ihr Kern. Die Bedeutung des Wortes »Mutter« kann definiert werden als »eine Frau, die ein oder mehrere Kinder geboren hat«. Aber was sagen uns Wendungen wie »Es schmeckt wie bei Muttern« oder »Sie war wie eine Mutter zu mir«? Das Wort transportiert mit seiner Bedeutung noch sogenannte »Konnotationen«. Sie betreffen Emotionen, die zum Denotat gehören, Wertungen, stilistische Einordnungen, Gebrauchsbedingungen usw. Er kann »gestorben« sein, er hat »uns für immer verlassen«, ist »verschieden«. Man kann aber auch »den Löffel abgeben«, »ins Gras beißen« oder »abkratzen«. Wortbedeutungen sind von Assoziationen begleitet, die sie mitbestimmen und mit anderen Wörtern und Tatbeständen vernetzen. Wortbedeutungen meinen auch nicht immer alle möglichen ihrer Denotate gleichermaßen. Welche Farbe fällt uns beim Wort »Farbe« ein? Türkis, Pink, Ocker? Es wird wohl eher Blau oder Rot sein. Was fällt uns beim Wort »Vogel« ein? Der Fischreiher oder die Schwalbe, der Spatz und die Taube? Es gibt »archetypische« Denotate.

Menschen können bemerken, dass Wörter wie »Neger« oder »Zigeuner« abwertende Urteile transportieren, Sie benennen nicht einfach nur Gruppen von Menschen, sondern ordnen sie auch auf einer sozialen und emotionalen Werteskala ein. Das kann man bedauern, ablehnen, es kann einem aber auch egal sein. Man kann für sich in Anspruch nehmen, diese Wertungen nicht mitzumeinen, wenn man das entsprechende Wort verwendet. Den Betroffenen und mit ihnen Sympathisierenden ist es aber nicht egal. Und deshalb ist das Wort bei den Betroffenen. In diesem Fall gehört die Sprache ihnen und wir sollten uns nach ihnen richten. Wenn sie nicht »Neger« und »Zigeuner« genannt werden wollen, sollten wir das akzeptieren. Ob man dann auch das »Zigeunerschnitzel« abschaffen beziehungsweise umbenennen muss, ist aber schon bei den Betroffenen umstritten.

Menschen können sehr begründet der Meinung sein, dass das grammatische Maskulinum bei Personenbezeichnungen Frauen zumindest hintanstellt und Männer zu den »archetypischen« Vertretern der Gattung Mensch macht. Es können noch so viele behaupten, dass das grammatische Maskulinum (»genus«) nicht nur das natürlich Männliche (»sexus«) benennt, sondern in einer zweiten Funktion das natürliche Geschlecht ausblendet. Wenn ich sage, »meine Schwester ist Lehrer«, will ich den Beruf hervorheben und das Geschlecht vernachlässigen. Es funktioniert nur nicht so richtig. Fordert man Menschen auf, einen »Lehrer« zu beschreiben, so ist das Ergebnis fast immer ein männliches Exemplar.

Problematischer noch ist es bei den Assoziationen zu den verschiedenen Sexus-Varianten von Mensch. Schwule haben »schwul« für sich positiv umgedeutet. Auch das ist eine Möglichkeit. Aber was sagt man zu bestimmten Verwendungsbeispielen im Duden, im Deutschen Universalwörterbuch? Wir bekommen beim Wort »spitz«, seine Bedeutung betreffend, »vom Sexualtrieb beherrscht« angeboten: »Die Frau ist so was von spitz; sie macht die Typen spitz und lässt sie dann nicht ran.« Nicht viel besser ist es beim Wort »schlafen« (Bedeutung: »um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nacheinander mit verschiedenen Partnern koitieren«). Der Duden bietet uns sogar noch an: »Sie hat sich schon durch die ganze Abteilung geschlafen.« Dass dies alles Männer offensichtlich nicht machen (müssen), sagt sehr viel über die Stellung von Männern und Frauen in einer patriarchalisch-sexistischen Gesellschaft (»gender«).

Überlassen wir also auch hier die Sprache den betroffenen Frauen und nicht den Männern, die ja angeblich gar nicht so sind, und nicht der Duden-Redaktion, die angeblich nur den allgemeinen Sprachgebrauch reflektiert.

Allen, die Sprache in eine unerwünschte Ecke verweisen, sei aber gesagt: Gebt euch Mühe, verzagt nicht, denn alles erhebt sich erst über eure Sprachverwendung und wird dann zu Sprache, wenn ihr die Sprachgemeinschaft zumindest in ihrer Mehrheit überzeugt habt. Hütet euch deshalb auch vor Übertreibungen. Sprecht und schreibt aber, wie ihr es für nötig erachtet.

Kritikern empfehle ich mit dem jüngst verstorbenen Peter Härtling: »Lesen, lesen, lesen. Lesen heißt Sprache lernen, Wörter entdecken.«

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