Bundestagswahl

Internationale Presse

  • Lesedauer: 3 Min.

Pravda, Slowakei

Politisches Erdbeben

Das Parteiensystem, das seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 funktionierte, liegt in Trümmern. Die großen Volksparteien CDU und SPD haben zusammen fast 15 Prozent ihrer Stimmen verloren, das ist ein klares Signal der Unzufriedenheit mit der amtierenden Koalition. Das politische Erdbeben brachte aus den finsteren Untergründen der Politik die Alternative für Deutschland an die Oberfläche. Die ist der eigentliche Wahlsieger. Als einer ihrer Führer, Alexander Gauland, kurz nach dem Schließen der Wahllokale verkündete, nun werde man Merkel »jagen«, konnte es einem kalt über den Rücken laufen.

Le Figaro, Frankreich

Merkel und die AfD

Merkels neuer Sieg hat sogar einen bitteren Beigeschmack. Der Platz der Kanzlerin in den Geschichtsbüchern ist befleckt vom historischen Ergebnis der Populisten von der AfD. Ihre Migrationspolitik verbunden mit der Allianz mit der SPD hat der extremen Rechten dieses Ergebnis geschenkt. »Mutti« ist zur »Mutter der AfD« geworden.

El País, Spanien

Folgen für Europa

Nach der Bundestagswahl, die vom Aufstieg der Ultrarechten und der Abstrafung der Sozialdemokraten gekennzeichnet wurde, werden die Sorgen um die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen im Vorfeld der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung unter Kanzlerin Merkel immer größer. Sorgen bereiten vor allem die Folgen für den Rest Europas. Es ist klar, dass der überfallartige Bundestagseinzug der AfD, einer Partei mit einem stark fremdenfeindlichen und antieuropäischen Charakter, zwei der wichtigsten Säulen der europäischen Integration in Gefahr bringt: den freien Personenverkehr sowie die Einheitswährung.

24 Tschassa, Bulgarien

Wie ein Taifun

Die einzige wahrscheinliche Möglichkeit zur Regierungsbildung ist nun eine Koalition zwischen den Konservativen, Liberalen und Grünen. Die so genannte schwarz-gelb-grüne »Jamaika«-Koalition wird in Europa wie ein Taifun erwartet. Der Einzug der Liberalen in die Regierung kann der erst vor kurzem zustande gekommenen Partnerschaft zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der Kanzlerin Merkel ein Ende setzen - gerade als der Franzose vorhat, Europa in Richtung noch engere Vereinigung zu führen.

Haaretz, Israel

Stagnation und Lähmung

Wenn die Wählerbefragungen mehr oder weniger akkurat sind, wird die einzige Regierungskoalition, die Merkel bilden kann, mit den Freien Demokraten und den Grünen sein. Dies sind zwei Parteien mit ganz verschiedenen Programmen, was es fast unmöglich machen wird, viele der radikalen neuen Grundsätze einzuführen, die Deutschland und Europa braucht - was zu Frau Merkels konservativer Seele passen wird. Beide, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Merkel, beweisen, dass politische Langlebigkeit und Stabilität in der Politik zu oft Rezepte für Stagnation und Lähmung sind. Und je mehr eine Figur die Szene dominiert, umso schwieriger wird es für eine neue Generationen von Führungspersönlichkeiten diese zu ersetzen und sich selbst mit neuen Ideen zu beweisen.

Wall Street Journal, USA

Gefahrlose Protestwahl

Dies ist eine sehr deutsche Protestwahl: eine gefahrlose. Die AfD hat sich über den größten Teil des Wahlkampfes hinweg abgemüht und verdankt ihren Auftrieb auf der Schlussstrecke zwei Faktoren. Eine Fernsehdebatte zwischen Frau Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz in diesem Monat verdeutlichte, wie wenig die beiden größten Parteien miteinander im Wettbewerb stehen. Und Umfragen, die zeigten, dass Frau Merkel ihre Rivalen plattwalzte, übermittelten Wählern die beruhigende Botschaft, dass sie für die AfD stimmen konnten, ohne der Partei wirkliche Macht zu verleihen. Frau Merkels ideenlose Kontrolle über die deutsche Politik ist immer noch stark. Aber in Deutschland dämmert die Merkel-Ära nun ihrem Ende entgegen - man kann es die Merkeldämmerung nennen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal