Alle Kanten abgerundet

Staatskapelle erstmals wieder in der Staatsoper

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit 1842 spielt das 1570 gegründete Berliner Hof- und Staatsorchester reguläre Konzertreihen vor zahlendem Publikum. Aber bei aller Jahrhundert-Routine, der Start in die 176. Saison der Staatskapelle Berlin war doch ein besonderer. Erstes Konzert auf der Bühne im neuen Zuschauersaal der Staatsoper; der Klang aus dem Graben hatte sich bereits tags zuvor als erfreulich erwiesen.

Das Programm begann mit einem kleinen Verwirrspiel von Jörg Widmann, »Zweites Labyrinth« nannte er sein launiges Jonglieren mit allerlei Klängen. Teils skurril, teils bizarr tönte es aus fünf Orchestergruppen. Da wurde kräftig auf eine mexikanische Gitarre eingepocht, tiefe Holzbläser bliesen im Akkord, die Hörnergruppe schmetterte darein, die Violinen zirpten in höchsten Tönen, alles durchaus witzig. Immer mal wieder begegnete man bekannten Motiven, wie es eben ist im Labyrinth, wo einem langsam alle Ecken bekannt vorkommen. Den Ausgang musste man nicht finden, plötzlich war es vorbei. Eine Klangstudie, die hören ließ, alles vernimmt man deutlich und klar.

Das zweite Werk des Abends ging wieder an den heimlichen Helden des »Präludiums« in der Lindenoper, an Robert Schumann. Altmeister Maurizio Pollini war der Solist im Klavierkonzert a-Moll. Jetzt kam es darauf an. Zuerst ein kräftiger Orchesterschlag nebst energisch zulangendem Klaviermotiv und dann, daraus emporwachsend, das liebliche Motiv C-H-A-A, Clara Schumann gewidmet. Es tönte wunderbar. Eine Konzertsaalakustik im neuen Konzertzimmer auf der Bühne. Mehr als die mehrfach genannten 1,6 Sekunden Nachhall dürften es allerdings auch nicht sein, wie man an einigen kraftvoll lauten Orchesterpassagen im weiteren Verlauf feststellen konnte. Die Erhöhung der Saaldecke hat die Kosten und Mühen für das musikalische Erlebnis gelohnt. Und schön sieht das zarte, im Schloss Sanssouci abgeschaute Gittermuster auch aus, mit dem der gewonnene Schallraum überzogen ist.

Pollini und Barenboim nahmen sich alle Zeit der Welt, musizierten berückende melodische Momente, alle Kanten wurden weich abgerundet, stellenweise gab es ungewohnte rhythmische Details. Die Holzbläser der Staatskapelle schwelgten in Schumanns melodischen Erfindungen, Pollini summte mit. Er wurde vom Publikum gefeiert.

Krönender Abschluss des Abends war wiederum ein Orchesterfarbenspiel, »Images pour Orchestre« von Claude Debussy. Der Komponist wird im Mittelpunkt der laufenden Orchesterspielzeit stehen, sein 100. Todestag nähert sich. Die »Images« sind eine Huldigung an Europa. England durchklingt den Satz »Gigues«, Italien und Frankreich sind im folgenden Tanzsatz zu ahnen, und »Iberia« mit seinen Tambourins und Kastagnetten spricht für sich. Orchesterdisziplin und Präzision, vor allem in den rhythmischen Abläufen und im Weitergeben der Themen und Motive von einer Orchestergruppe zur anderen bringen hervor, was in den »Images« so irrlichternd improvisiert erscheint. Lichtreflexe, motivische Impressionen, Farben-Klänge - Barenboim und die vielfach solistisch hervortretenden Orchestermusiker fühlten sich hörbar wohl in Debussys gedankenreicher Leichtigkeit.

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