nd-aktuell.de / 07.10.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Harte Zeiten für Kaffeehäuser

Lässt sich das Geschäftsmodell in hektischer Zeit durchhalten? Ein Bericht aus Sangerhausen

Petra Buch, Sangerhausen

Wer das Haus im Südharz betritt, taucht ein in eine andere Welt - beherrscht von Eclairs, Nusstörtchen und Schillerlocken, dunklen Möbeln, Messinguhr und Samt. Statt Café to go für die Eiligen anzubieten, legt man in dem Familienbetrieb Wert auf ruhige Atmosphäre und Genuss. Das Kaffeehaus Kolditz in Sangerhausen (Sachsen-Anhalt), gegründet im November 1888, wirbt mit »Wiener Kaffeehauskultur«. Und das inmitten einer früheren Bergbauregion.

Sangerhausen gehört seit dem Strukturwandel nach 1990 zu den Landstrichen, die mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung zu kämpfen haben. Was ist nun das Rezept zum (Über)-Leben mit einem Kaffeehaus mit gut 80 Plätzen - gerade in einer solchen Region? Zumal es mittlerweile gefühlt fast an jeder Ecke in Deutschland Bäckereifilialen gibt, die Sitzecken für Kaffee, Kuchen, Torte und auch Herzhaftes anbieten.

»Zu uns kommen Leute zum Kaffeeklatsch, die sich in aller Ruhe und gemütlich mal zwei, drei Stunden unterhalten, die ›konditern gehen‹, wollen«, erzählt Falk Freygang. Der Konditormeister führt in der fünften Generation die Geschäfte des Familienunternehmens. Seine 70-jährige Mutter steht noch immer im Laden. »Und früh um drei gehen bei uns in der Backstube die Lichter an«, beschreibt er seinen Tagesablauf. Handarbeit, Können und Ideenreichtum seien in dem Beruf gefragt. Vorgebackene Tiefkühlwaren zu verarbeiten, das käme für ihn nicht in Frage. Nach der Wende sei die Familie eigens in Kaffeehäuser nach Österreich gefahren. »Da haben wir uns gesagt, das sieht ja eigentlich so aus wie bei uns zu Hause«, erzählt der 44-jährige Chef mit Blick auf das Interieur.

So wird Kaffee statt im heute üblichen Pott noch in Tassen oder Kännchen serviert, Sahne und Zucker im passenden Tafelgeschirr. Leicht sei es nicht, das Geschäftsmodell eines Kaffeehauses angesichts der hektischen Zeit und schwindender Kaufkraft in der Region durchzuhalten, sagt Freygang. Es gehöre viel Idealismus und Engagement dazu. »Wir machen auch außerhalb der Backstube viel selbst. Wenn ein Stuhl kaputt ist, wird nach Geschäftsschluss repariert«, sagt er. Es gibt diverse Beispiele, wo Traditionen nicht fortgeführt werden konnten. Nur rund 60 Kilometer von Sangerhausen entfernt, in Halle etwa, gingen in einem alten Kaffeehaus, das auch von Feinschmeckern bundesweit empfohlen wurde, die Lichter aus. Andernorts, so in Touristenhochburgen und Kurorten, sind Kaffeehäuser hingegen der Treffpunkt schlechthin und werden von Reisemanagern wärmstens empfohlen.

Laut Branchenverband hat das Konditorenhandwerk in Deutschland 2016 einen Umsatz von rund 1,8 Milliarden Euro erwirtschaftet, knapp zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2017 erreichte es einen Umsatzzuwachs von 0,94 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2016. Das Handwerk hat nach Angaben des Deutschen Konditorenbundes (Mönchengladbach) derzeit rund 68 600 Beschäftigte in 3110 Fachbetrieben, die häufig Familienunternehmen sind.

Rund 4500 junge Männer und Frauen haben sich laut Deutschem Handwerkskammertag 2016 für eine Ausbildung zum Konditor entschieden haben (plus 100 im Vergleich zu 2015), zudem 620 - überwiegend Frauen - zur Fachverkäuferausbildung. Insgesamt sei das Interesse von jungen Menschen an einem Beruf als Konditor im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen im Handwerk gestiegen. Handwerk und Kreativität, Hand- und Kopfarbeit seien in dem Beruf gefragt, denn Butter und Sahne sind nicht gleich Butter und Sahne, Rezept ist nicht gleich Rezept.

»Am Ende muss es dem Kunden schmecken, der Service und die Beratung müssen stimmen, dann kommt er auch immer wieder«, sagt der Sprecher des Deutschen Konditorenbundes, Jörg Becher. Zugleich verwies er darauf, dass Standortbedingungen - wie Ladenmieten, regionale Kaufkraft, Abwanderung von Kunden aus den Innenstädten in Einkaufszentren auf der grünen Wiese - Einfluss auf das Geschäft des jeweiligen Betriebes haben. dpa/nd