Der Grat ist schmal

Provenienzforschung zu kolonialen Relikten

Als zum 100. Jahrestag der Auffindung der Büste von Nofretete auf der Berliner Museumsinsel eine Sonderaustellung zur Amarna-Zeit eröffnet wurde, fragte »nd« die Direktorin des Ägyptischen Museums, was dran sei an den Gerüchten, dass nicht die schöne Gemahlin von Echnaton die leibliche Mutter von Tutanchamun sei, sondern der Pharao seinen Sohn und Thronfolger mit seiner Mutter Teje, einer Schwester oder Schwägerin gezeugt habe. Die Antwort von Friederike Seyfried: »Wir beteiligen uns nicht am heiteren Mumienraten.« Wissenschaftler können ergo durchaus ihre Neugier zügeln.

Die hier zu besprechende Angelegenheit ist ernster, sehr ernst. Nicht nur, weil sie im Kontext zu Geschehnissen steht, die erst ein Säculum zurückliegen und nicht über drei Millennien. Seit zwei Jahren lässt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Herkunft von 1100 Schädeln aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika prüfen. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin hatte 2011 die Sammlung von 5000 menschlichen Relikten aus der Charité übernommen, womit die Stiftung erstmals einen anthropologischen Fundus in ihre Obhut bekam. Was nicht unumstritten blieb, ja zu hitzigen Debatten führte. Handelt es sich doch hier vielfach um Artefakte, die im Gefolge genozidaler Kolonialkriege nach Deutschland verschleppt und teils aus privaten oder geweihten Gräbern geraubt wurden. Selbst Schenkungen von einheimischen Herrschern an den deutschen Kaiser oder dessen Gelehrte dürften unrechtmäßigen Ursprungs gewesen sein.

Die Stiftung hat sich einen Ehrenkodex gesetzt zum Umgang mit »Überresten von gewesenen Menschen«. Dazu gehört, diese »mit größter Sensibilität und höchstem Respekt zu behandeln« und deren Herkunft sukzessive und eindeutig aufzuklären. Sollte sich herausstellen, dass eine Erwerbung unter Umständen erfolgte, »die heute als unethisch einzuordnen sind, ist dies zu dokumentieren und verantwortungsvoll über den weiteren Umgang mit dem jeweiligen menschlichen Überrest zu entscheiden«.

Am Donnerstag präsentierte die Stiftung Ergebnisse des Projektes Provenienzforschung. Präsident Hermann Parzinger betonte, man arbeite eng mit Kollegen aus Ruanda, Tansania und Burundi zusammen. Wenn Schädel von Exe-kutionsopfern der Kolonialmacht stammten, würde man auch über eine Rückgabe sprechen. Nach bisherigen Erkenntnissen sei dies aber nicht der Fall. Bernhard Heeb vom Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte berichtete, dass die von der Charité übernommenen Schädel sich in einem schlechten Zustand befanden, erst gereinigt, teils auch zusammengesetzt werden mussten, ehe die Untersuchungen beginnen konnten. Man werde die Ergebnisse publizieren, eventuell auch eine Datenbank anlegen.

Warum aber gibt es überhaupt diese Bestände? Warum werden die Relikte nicht pietätvoll bestattet? Zumal sie Assoziationen zur pseudowissenschaftlichen Rassenkunde unseliger Zeiten wecken, emotional hoch aufgeladen und moralisch bedenklich sind, die Nachfahren der von Deutschland in Afrika oder im pazifischen Raum unterworfenen, entrechteten, geknechteten, ausgeplünderten und ermordeten Völker brüskieren dürften. Igor Cesar, Botschafter der Republik Ruanda, bestätigte, in seiner Heimat würden die Diskussionen und Entscheidungen in Deutschland aufmerksam verfolgt. Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung (Bozen), wiederum verteidigte die Unentbehrlichkeit der Sammlung, um weitere Aufschlüsse zur Genese der Menschheit, über Migrationsströme sowie zur Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten zu gewinnen; mit dem Wissen um letzteres könne man heutige Epidemien besser bekämpfen. Das klang überzeugend. Indes: Geschmäckle bleibt.

Der Grat ist schmal, auf dem die Forscher wandeln.

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