»Der Lehrplan wird bewusst verfehlt«

Experten kritisieren Schwimmunterricht in Nordrhein-Westfalen

  • Kristin Kruthaup, Münster
  • Lesedauer: 3 Min.

Im NRW-Lehrplan steht: »Jedes Kind soll am Ende der Grundschulzeit schwimmen können.« Viele können es laut Experten aber nicht. Im Gegenteil: »Grundschulkinder können immer schlechter schwimmen«, sagt Achim Wiese von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). »Wir sehen diese Tendenz auch«, ergänzt Joachim Heuser, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen. Die neue Regierung will Abhilfe schaffen - laut Koalitionsvertrag soll es am Ende der Grundschulzeit ausschließlich sichere Schwimmer geben.

Wie groß der Nichtschwimmeranteil am Ende der Grundschulzeit ist, lässt sich nicht genau sagen. Forscher der Universität Wuppertal haben sechs Studien zur Schwimmfähigkeit aus den Jahren 2006 bis 2015 ausgewertet. Darin schwankt der Nichtschwimmeranteil von 7,1 bis 46 Prozent. »Die Systematik der Studien ist unterschiedlich«, sagt Maike Kels von der Uni. Deshalb seien sie nicht miteinander vergleichbar. Mal würde nach Grundfertigkeiten gefragt, mal nach dem Schwimmabzeichen Bronze. Uneins sind sie darüber, ab wann ein Kind schwimmen kann: Was muss es dafür können?

Einig sind sich alle, dass nicht alle Kinder am Ende der Grundschulzeit sicher schwimmen können. »Seit Jahren wird mit politischer Duldung der Lehrplan bewusst verfehlt«, kritisiert Dorothea Schäfer, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW. 2016 sind nach Zahlen des DLRG in NRW 76 Menschen beim Baden ertrunken, in den ersten acht Monaten 2017 waren es 37.

Warum nicht alle Kinder am Ende der Grundschulzeit schwimmen können, hat laut Experten mehrere Ursachen: Immer mehr Eltern verließen sich darauf, dass Kinder in der Schule schwimmen lernten, sagt Schäfer. Die Schulen seien damit aber oft überfordert. Ein Grund für die Überforderung der Schulen sei, dass immer mehr Schwimmbäder schließen. Es sei unklar, ob alle Grundschulen in NRW Zugang zu einer Schwimmhalle haben und Schwimmunterricht geben können. Fakt ist: Die Zahl der Schwimmbäder nimmt in NRW seit Jahren ab.

Außerdem gebe es an Grundschulen zu wenig ausgebildete Sportlehrer, sagt Schäfer. Von 45 553 Lehrkräften an Grundschulen im Schuljahr 2016/2017 haben 9277 laut Schulstatistik eine Ausbildung im Fach Sport. »Das ist verglichen mit anderen durch alle Klassenstufen unterrichteten Fächern wie Mathe sehr, sehr wenig.« Lehrer unterrichteten deshalb mitunter das Fach Schwimmen an der Grundschule, obwohl sie das nie studiert haben.

Das Schulministerium unter Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte nach dem Erlass von 2015 mit QUEGS eine Fortbildungsmöglichkeit für Grundschullehrer im Fach Sport geschaffen. »Es gab pro Regierungsbezirk aber zu wenig Angebote«, kritisiert Schäfer. Außerdem hat die alte Landesregierung das Landesprogramm »NRW kann Schwimmen« bis 2020 verlängert. Danach werden 135 000 Euro pro Jahr für Schwimmkurse ausgegeben, die Schüler in der Freizeit an das Schwimmen heranführen sollen.

Die FDP hatte in der Opposition die mangelnde Schwimmfähigkeit von Grundschulkindern kritisiert. Sie hatte deshalb in einem Antrag im Landtag gefordert, am Ende der Grundschulzeit die Schwimmfähigkeit der Grundschüler zentral zu erheben. Nun heißt es aus dem Schulministerium, das Landesprogramm »NRW kann schwimmen!« soll fortgeführt werden. dpa/nd

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