Knapp gerettetes Genossenschaftsprojekt

Anfang Februar sollen die ersten Mieter in das ökologische und integrative Quartier »Möckernkiez« einziehen

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Sturm vom vergangenen Donnerstag hat einige Pakete mit Dämmmaterial durch die Gegend gewirbelt. Regentropfen verwandeln den Boden in eine Matschfläche. Doch die Rohbauten der vier Stockwerke hohen Gebäude am letzten Ausläufer Kreuzbergs stehen, die Fenster sind eingebaut. Die Kräne drehen sich, Gerüste werden aufgestellt. An der Yorckstraße montieren Arbeiter die Außenwanddämmung. Bereits im August wurde Richtfest gefeiert. Insgesamt 471 Wohnungen verschiedener Größe und 3000 Quadratmeter Gewerbefläche sollen es hier zwischen Yorckstraße und Gleisdreieckpark werden. Bis auf fünf Wohnungen sind alle vergeben.

»Ich bin stolz, dass wir das Bauvorhaben retten konnten«, sagt Frank Nitzsche, der seit Anfang 2015 das Ruder in der Möckernkiez Genossenschaft übernommen hat. Nitzsche hat Betriebswirtschaft studiert und 30 Jahre in der Wohnungswirtschaft gearbeitet - vor allem im genossenschaftlichen Bereich. Einzugstermin für die ersten Genossen sollte Ende des Jahres sein, doch »durch den feuchten Sommer wurde der Estrich nicht trocken«, so Nitzsche. Anfang Februar jedoch sollen nun die ersten Mieter hier einziehen können, verspricht er.

14 Gebäude in Passivhausstandard, mit Dutzenden Quadratmetern Photovoltaik auf den Dächern, ein eigenes Blockheizkraftwerk, barrierefreie Zugänge, Tiefgaragen und gemeinschaftliche Dachterrassen. Es gibt einige Studio-Wohnungen für Wohngemeinschaften mit gemeinschaftlichem Küchenbereich. Dazwischen reichlich Grünflächen und natürlich der Park nebenan.

Nach wie vor ein Vorzeigeprojekt, auch wenn die Ursprungsidee im Laufe der Zeit Federn lassen musste: Zwei Teilflächen für ein Hotel und einen Bio-Supermakrt mussten verkauft werden, die Abwasser-Wärmerückgewinnung wurde gestrichen und statt Holz- gibt es nun Kunststofffenster. Trotzdem sind die Baukosten von den ursprünglich prognostizierten 80 Millionen Euro auf nun rund 130 Millionen Euro gestiegen. Das sei aber sehr »konservativ kalkuliert«, so Nitzsche.

2007 entstand die Idee, ein genossenschaftliches, ökologisches und integratives Quartier zu schaffen, die Möckernkiez eG gründete sich, die Nachfrage war groß, es herrschte Aufbruchstimmung. Eine ehemalige Genossin berichtet im vertraulichen Gespräch: »Wir kamen uns damals vor wie David, der gegen die Goliaths gesiegt hatte. Die Dimensionen des Projekts waren für mich toll und beeindruckend. Es wurden Utopien gesponnen, es ging uns ums Gestalten und Entwickeln«.

Doch die Banken verweigerten 2014 eine Finanzierung, das Risiko sei zu groß, die geplanten Wohnungsmieten zu niedrig. Zu der Zeit waren bereits neun Euro Nettokaltmiete anvisiert, ein Betrag weit über dem Mietspiegel. Es folgten sechs Monate Baustopp und die zähe Suche nach Geld, öffentlicher Unterstützung und einem Generalbauunternehmer - eine weitere Bankenforderung.

Im Mai 2015 stand Frank Nietzsche schließlich vor den Genossinnen und Genossen und verkündete mit weichen Knien den Verkauf der zwei Teilflächen und eine Mietsteigerung von einem Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Doch was passierte, überraschte ihn: Die Genossen applaudierten, es konnte weitergehen. Offensichtlich stand für viele noch immer die Utopie über den steigenden finanziellen Belastungen.

»Das Miteinander ist einfach sehr groß und das Gemeinschaftsgefühl relativ ausgeprägt. Das macht Spaß. Nur deshalb sind so viele in der Krise bei der Stange geblieben«, so Nietzsche. Auf die Fehler der Vergangenheit angesprochen, übt er vorsichtige Kritik: »Man hätte das auch Stück für Stück bauen können« oder »die Anfangskalkulation war wohl nicht ganz realistisch«, sagt er dann. Doch er merkt auch an, dass es manchmal Utopisten braucht, um solch ein Projekt überhaupt ins Leben zu rufen.

Von der öffentlichen Hand wünscht sich Nietzsche mehr Unterstützung und weist darauf hin, dass bei den momentanen Bodenpreisen und Baukosten sozial akzeptable Mieten nicht zu erreichen seien. »Man könnte mehr Flächen per Konzept vergeben und nicht nach Höchstpreis«, außerdem müssten baugesetzliche Regeln entschlackt werden, »die Standards sind hier sehr hoch«.

Unter solchen Voraussetzungen könnte er sich sogar in ein paar Jahren vorstellen, weitere Projekte anzuschieben. »Wir würden gerne das ein oder andere noch machen«, sagt er. Doch letztendlich haben es die Genossen in der Hand.

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