nd-aktuell.de / 11.10.2017 / Sport / Seite 19

Syriens WM-Traum ist beendet

Australiens Oldie Tim Cahill trifft zwei Mal beim 2:1 im Rückspiel der Asien-Playoffs, bei dem die Syrer bis in die Verlängerung hoffen durften

Jirka Grahl

Aus der Ferne sah Omar al-Soma in jener denkwürdigen 120. Minute fast so aus wie Cristiano Ronaldo. Breitbeinig stand der Stürmer der syrischen Fußballnationalmannschaft am Ball, fixierte das Tor und die Fünf-Mann-Mauer, die die Australier gebildet hatten, um den Freistoß aus 25 Metern gar nicht erst in Richtung ihres Torhüters zu lassen. Al-Somas Mannschaft lag 1:2 im ANZ-Stadion von Sydney zurück. Sollte dem Starstürmer jetzt doch noch ein Treffer gelingen, hätte die Auswahl des kriegsgeplagten Landes das interkontinentale Qualifikationsmatch gegen den Tabellenvierten der Nord- und Mittelamerika-Gruppe erreicht.

Dann ging alles ganz schnell: Der usbekische Schiedsrichter pfiff, al-Soma lief an und zog ab. Der Ball flog und flog, an der Mauer ebenso wie an Socceroo-Torwart Maty Ryan vorbei, bis er schließlich an den Pfosten klatschte und von dort ins Aus sprang. 42 000 Fans im Stadion hatten den Atem angehalten wie auch Zehntausende auf den Straßen von Damaskus vor den Bildschirmen.

Die syrischen Fußballer rauften sich die Haare und rannten weiter dem Ball hinterher, doch wenige Sekunden später war es vorbei. Der Referee pfiff ab - das Aus für Syrien, die Gastgeber hatten dank zweier Kopfballtreffer des 37-jährigen Tim Cahill (13. und 109. Minute) mit 2:1 nach Verlängerung die Oberhand behalten. Nach dem 1:1 im Hinspiel war Australien mit 3:2-Gesamtsieger.

Die Socceroos, die auf Platz 50 der Weltrangliste liegen, peilen weiterhin die WM-Teilnahme an, es wäre ihre vierte in Folge. »Wir wussten, dass wir die Syrer müde spielen müssen«, verriet Tim Cahill nach der Jubelrunde durch das ANZ-Stadion. »Zum Glück endete es mit dem richtigen Resultat für uns.« Der »Sydney Morning Herald« bejubelte den Torschützen. »Als wir ihn am meisten brauchten, hat Tim Cahill geliefert!«

Für die syrische Auswahl, derzeit trotz des Krieges immerhin 75. im FIFA-Nationenranking, war indes das Märchen zu Ende, das sie bis in die vierte Runde der Asien-Qualifikation geführt hatte, in der auch die Australier mit einem Sonderstartrecht mitspielen dürfen. Nach dem Aus träumen die Syrer weiterhin von ihrer ersten Endrundenteilnahme.

Ihnen blieb nur die Gewissheit, ihren Gegnern alles abverlangt zu haben. Stürmer Omar al-Soma hatte sein Team bereits in der sechsten Minute in Führung gebracht, als er nach einem Konter freistehend aus acht Metern den Ball mit links ins kurze Eck zirkelte. Der 28-Jährige hatte zuletzt für die wichtigen Tore gesorgt: Beim 1:1 im Hinspiel hatte al-Soma ebenso getroffen wie beim legendären 2:2 in Teheran gegen Iran, das die Syrer in letzter Sekunde noch in die Playoffs gegen Australien geführt hatte.

»Ich bin sehr stolz darauf, was meine Jungs erreicht haben«, sagte Syriens Trainer Ayman al-Hakim nach dem Ausscheiden in Sydney. »Am Ende gibt es Fehler im Fußball, das Gegentor passierte, als der Druck der Socceroos immer größer wurde.« Mit seiner sehr defensiven Taktik hatte Syriens Trainer die Australier zum Verzweifeln gebracht. 76:24 lautete das Ballbesitzverhältnis zugunsten der Australier, doch die Syrer, von denen nur wenige ihr Geld in der syrischen Premier League verdienen, blieben vor allem bei Kontern stets gefährlich. Die meisten Kicker haben sich in den Golfmonarchien Saudi-Arabien, Emirate, Katar oder Oman verdingt, wie auch Stürmerstar al-Soma. Der 1,92-Meter-Mann läuft als Profi für den Al-Ahli FC in der saudischen Millionenstadt Dschiddah auf.

Al-Soma ist erst seit kurzem wieder in der Nationalelf. Nachdem in Syrien der Krieg ausgebrochen war, fiel er bei Machthaber Baschar al-Assad in Ungnade, weil er im Stadion eine Fahne der Opposition geschwenkt hatte. Jetzt ist der Mann aus Homs zurück im Nationalteam, was ihm viele Regimegegner übelnehmen, wenngleich sie seine Tore weiterhin bejubeln.

In Sydney ist am Dienstag übrigens eine Gruppe Syrer nicht ins Stadion gelassen worden. Sie hatten eine riesige Oppositionsfahne dabei.