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Nudellastig

  • Lesedauer: 3 Min.

Als in den 1950er Jahren die ersten italienischen Einwanderer nach Deutschland kamen, nannte man sie noch Gastarbeiter, weil man davon ausging, dass sie nur vorübergehend in Deutschland bleiben und bald wieder zurück in ihr Heimatland gehen würden. Im Wort Gastarbeiter steckt aber auch das Wort »Gast«, weshalb viele dieser Migranten bald konsequenterweise Lokale eröffneten, in denen sie Speisen aus ihrem Heimatland - zuvorderst Pizza, Lasagne und Spaghetti mit verschiedensten Saucen - zum Verzehr anboten. Das Wort »Lokal« wiederum assoziiert Heimat (davon ist derzeit ja hierzulande viel die Rede), darum war es nur folgerichtig, dass die Neuankömmlinge blieben und sesshaft wurden.

Die Jüngeren unter uns werden kaum noch verstehen können, dass vor 30 Jahren die Entscheidung, »zum Italiener« zu gehen, in den ländlichen Teilen des tiefen Westens ein politisches Statement gegen den spießbürgerlichen Mief war, gegen die »gutbürgerliche« deutsche Küche, gegen Mehlschwitze, Sauerbraten, Eisbein und Sauerkraut. Die Pizzeria oder Trattoria war ein Fluchtort vor den Nationalismen der deutschen Esskultur.

Von dieser wurde man glücklicherweise auch während des Italienurlaubs verschont. Italienische Gastronomen unterhielten sich mit ihren deutschen Gästen in der Regel über Daimler und VW, Helmut Kohl, den Fußball und die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit, niemals aber über die deutsche Küche. Die galt selbst dem durchschnittlichen italienischen Koch einer Trattoria als nicht satisfaktionsfähig.

Für die Berliner Küche traf das ganz besonders zu. Nun ist im Zeitalter der Globalisierung auch das Lokale im Schwinden, und wer heute von Berlin aus nach Italien fährt, muss damit rechnen, dort auf Berliner Küche zu treffen. Im beschaulichen Luino am Lago Maggiore etwa gibt es das Al Cantinone. Geführt wird es von Marmino Michele, einem jungen Mann Ende 20. Marmino Michele hat einst Kommunikationswissenschaften studiert und weilte während eines Praktikums längere Zeit in Berlin. Hier habe er die Berliner Küche kennengelernt, sagt er, und er schätze sie, setzt er hinzu.

Nicht dass man jetzt in den Tiefen der Berliner Ess-Unkultur Anlass zum Jubeln hätte: Die Currywurst, die Ketwurst und »Tote Oma« sind nicht gemeint. Herr Michele meint die in der Markthalle Neun in Kreuzberg feilgebotenen regionalen Imbisstrends. Nach seinem Studium kehrte Marmino Michele nach Luino zurück, hat aber seitdem nach seiner Schätzung mehr als 40 Mal Berlin besucht.

Das Essen im Al Cantinone hat aber so gar nichts von Kreuzberger Imbiss-Spezialitäten. Das laut Eigendarstellung älteste Restaurant der Stadt ist traditionell. So ist die Lasagne nach Art von Marminos Oma zubereitet. Sie war sehr gut, allerdings nach meinem Geschmack etwas zu nudellastig. Auch meinen beiden Söhnen schmeckte die Lasagne, aber eben, wie sie hernach sagten, nicht so gut wie die Lasagne, die ich zubereite. Gut, das ist auch kein Wunder. Das Rezept stammt von einem ehemaligen italienischen Gastarbeiter.

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