nd-aktuell.de / 17.10.2017 / Politik / Seite 10

Frieden braucht Partizipation von unten

Paula Companioni von der alternativen Nachrichtenagentur »Colombia Informa« über den Einfluss der Medien

Martin Ling

In Kolumbien sind zehn Familien aus der Oberschicht - darunter die Familie des Präsidenten Juan Manuel Santos - Eigentümer von fast allen Zeitungen, Radiosendern, Fernsehkanälen. Sie haben eine mediale Hegemonie. Was bedeutet das für die Berichterstattung über den Friedensprozess, der mit dem Friedensabkommen zwischen der Guerilla FARC und der Regierung in Bogotá im November 2016 auf den Weg gebracht wurde?

Ob es um die Berichterstattung zum Friedensprozess geht oder um jedwede Nachricht: Es bedeutet, dass die Agenda dieser Familien an allen Ecken und Enden der medialen Berichterstattung vorkommt und das mediale Geschehen dom iniert. Das gilt für die Nachrichtensendungen bis hin zu den Telenovelas oder den Werbeanzeigen. Alles reflektiert die Art und Weise, wie diese Familien denken. Das gilt ebenso für die Tageszeitungen, Magazine, die Straßenpropaganda und das Radio. Die Ansichten dieser Familien sind allgegenwärtig. Es ist interessant zu sehen, dass diese Familien unterschiedliche Wurzeln haben, sie kommen aus dem Großgrundbesitz, dem Bankensektor oder der Immobilienbranche. Was sie vereint: Sie haben Medien gekauft, um Einfluss auszuüben. Mit den Medien rechtfertigen sie ihre herausragende Stellung in der Gesellschaft, ohne sie zu hinterfragen.

Wie wirkt sich das auf den Friedensprozess aus?

Für den kolumbianischen Friedensprozess speziell bedeutet das eine verzerrte Wahrnehmung. Viele Kolumbianer wurden erst kurz vor dem Referendum über die Inhalte des Friedensvertrags mit der FARC in Kenntnis gesetzt und das in tendenziöser Art und Weise. Beispielsweise wurde behauptet, dass der Vertrag einer Geschlechter-Ideologie folge, was politisch nicht korrekt ist, weil es sich bei der Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Personen nicht um eine Ideologie handelt, sondern um eine Art und Weise, das Leben zu sehen und alle Menschen gleichberechtigt zu behandeln. Es wurde auch behauptet, dass das Abkommen das Leben der FARC-Guerilleros verbessern würde, aber nicht das Leben der Kolumbianer an sich, und dass mit diesem Abkommen Kolumbien sich in ein Castro-chavistisches Regime à la Kuba oder Venezuela entwickeln würde. Damit verfolgen die zehn Familien ihre Interessen, aber nicht die der Mehrheit der 50 Millionen Einwohner.

Sie arbeiten für ein alternatives Medium, »Colombia Informa«, eine Nachrichtenagentur, die beansprucht, die soziale und politische Realität von Kolumbien, Lateinamerika aus der Sicht der Normalbevölkerung zu schildern. Das ist ein großes Vorhaben. Wie setzt man das ohne große finanzielle Mittel um?

Diese Frage stellen wir uns auch immer wieder ... Es ist auf alle Fälle eine Herausforderung und es geht auch nur, weil die ganze journalistische Arbeit auf freiwilliger, unbezahlter Basis geleistet wird. Gehälter werden bei »Colombia Informa« nicht bezahlt. Die begrenzten Mittel, die wir haben, werden für die technische Infrastruktur, für Strom-, Handy- und Internetkosten, sprich die Voraussetzungen für die journalistische Arbeit aufgewendet. Wir fühlen uns den Menschen in Kolumbien verpflichtet, die nicht in den hegemonialen Medien widergespiegelt werden. Deswegen sind wir mit viel Energie und Enthusiasmus dabei.

Wie lässt sich über alternative Medien wie »Colombia Informa« zum Frieden in Kolumbien beitragen?

»Colombia Informa« hat eine Vision von Frieden, die auf Partizipation der Bevölkerung setzt. Als Erstes geht es darum, einen Raum für Kommunikation zu schaffen, der offen für Beteiligung ist. Das ist unsere tägliche Arbeit. Und danach geht es uns politisch darum, auf die Konflikte hinzuweisen, die es immer noch gibt und die von den hegemonialen Medien marginalisiert oder totgeschwiegen werden. Es gibt ja nicht nur den bewaffneten internen Konflikt mit der FARC-Guerilla in den Bergen, der über das Friedensabkommen beigelegt wurde, sondern viele soziale Konflikte. Soziale Aktivisten werden nach wie vor ermordet. Jenseits direkter Gewalt geht es zum Beispiel um die exorbitanten Preissteigerungen bei Gütern des Grundbedarfs, die das Leben für einkommensschwache Familien erschweren, der Mindestlohn reicht hinten und vorne nicht. Und wir versuchen auch ein anderes Bild auf die Region zu geben, zum Beispiel auf die Krise in Venezuela, über die die hegemonialen Medien sehr einseitig berichten. Und es geht darum, ein differenziertes Bild von Kolumbien zu zeichnen, jenseits der Klischees der Drogenbosse oder des »Man kann zu jedem Moment an jedem Ort überfallen werden«. Sicher ist Kolumbien nicht ungefährlich. Aber wir zeigen all den Widerstand gegen die Ungerechtigkeit und Gewalt auf, auf dessen Basis Frieden aufbauen lässt.

Die Haltung von »Colombia Informa« ist erklärtermaßen nicht neutral. Was heißt das für die Berichterstattung?

Das heißt, dass die Berichterstattung eine politische Haltung hat. In unserem Falle den Blick von unten, aus der Bevölkerung. Das heißt, wir sind solidarisch mit den Basisbewegungen und ihrem Ziel, Gegenmacht aufzubauen. Wir müssen bei unserer Arbeit sehr klar sein, alle Quellen doppelt sichern. Wenn wir etwas falsch berichten, kriegen wir schnell Probleme.

Was halten Sie von einem Gesetz zur Demokratisierung der Medien, wie es die Regierung von Cristina Kirchner in Argentinien einst auf den Weg gebracht hat, um Basismedien gegen Konzernmedien zu stärken?

Nicht nur in Argentinien, auch - trotz aller berechtigten Kritik - progressive Regierungen in Uruguay, Bolivien und Ecuador haben ähnliche Gesetze auf den Weg gebracht. Das hat es Basisradios leichter gemacht, Sendelizenzen zu bekommen. Ich halte das für wichtig. In Kolumbien fehlt ein Gesetz, das mit dem Medienoligopol bricht. Aber es müsste darüber hinausgehen und das Recht auf Information für alle sichern und die Journalisten schützen.

Weil Journalismus in Kolumbien ein gefährlicher Job ist?

Ja, nicht so gefährlich wie in Mexiko, dem mit Abstand gefährlichsten Land für Journalisten in Lateinamerika. Aber auch in Kolumbien werden Journalisten umgebracht, weil sie Gegenöffentlichkeit machen - seit Mitte der 80er Jahre mindestens 45. Nicht nur Journalisten sind gefährdet, sondern auch Humoristen. Ungeschönt die Wahrheit zu sagen, ist in Kolumbien fraglos gefährlich. Wir haben mit dieser Angst leben gelernt.